Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
verwirrt, als er den Laden wieder verließ.«
Captain Kell zieht die Brauen hoch: » Verwirrt?«
» Ja, Sir. Er wirkte irgendwie, wie soll ich sagen, geistesabwesend. Auf der Charing Cross wäre er beinahe unter ein Automobil geraten. Und dann ist er in die Green Street gelaufen, wohl versehentlich. Er ist gleich wieder umgekehrt. Auf dem Hinweg war er völlig sicher, so als wäre er den Weg schon oft gegangen. Mein Eindruck ist, daß sie irgend etwas besonders Bedeutsames besprochen haben.«
» Wer weiß«, meint Kell, » vielleicht hatten sie ja nur ein paar Drinks da in dem Laden. Sonst noch was?«
» Nein, Sir. Doch, Sir! Als er herauskam, hatte er seinen Schirm nicht dabei.«
» Tja, das beweist leider auch nicht viel. Na gut. Essen Sie irgendwo etwas, und beziehen Sie danach Ihren Posten wieder. Wir wollen doch herausfinden, wo er untergebracht ist.« Drummond ist schon an der Tür, als sich der Captain räuspert und sagt: » Hören Sie, ich weiß, es ist ziemlich viel verlangt, einen Mann ganz alleine zu beschatten. Ich habe aber niemanden außer Clarke und Melville, und beide sind momentan mit anderen Aufgaben beschäftigt. Daher habe ich beantragt, mir zwei erfahrene Detektive zuzuteilen. Einen hat man mir wenigstens bewilligt, er fängt morgen an, und Sie können sich vorläufig die Beobachtung der deutschen Botschaft mit ihm teilen. Er heißt John Regan und kommt direkt von der Metropolitan Police zu uns.«
» Ja, Sir. Vielen Dank, Sir.«
Drummond macht sich auf, zurück zur Carlton House Terrace. Dann sind wir ab morgen also vier Mann, wenn ich den Captain und den Sekretär nicht mitrechne, denkt er. Wie sollen wir mit so wenig Leuten jemals deutsche Spione ausfindig machen? Melville ist wenigstens Detektiv, und der Neue vermutlich auch, aber ich bin ganz und gar unerfahren in diesem merkwürdigen Gewerbe. Und anscheinend bin ich mit meinen zweiunddreißig Jahren der Jüngste in dem ganzen Verein.
Drummond hatte erst am 19. Mai bei Kell angefangen, als sogenannter Marine Assistant, und sein Verantwortungsbereich war die Beschaffung von Informationen in den Häfen der Ostküste, beginnend mit dem Port of London. In den eineinhalb Monaten, die er nun für das SSB arbeitete, war es ihm immerhin gelungen, sich der Unterstützung von sechs Handelsschiffskapitänen zu versichern, die regelmäßig zwischen London und dem Kontinent verkehrten. Die Kapitäne, alle Briten natürlich, versprachen, die Augen offenzuhalten und alles zu berichten, was ihnen in ausländischen Häfen als bemerkenswert auffiel.
Vorgestern jedoch hatte ihm Kell diese neue Aufgabe zugeteilt. Er hatte ihm eine Photographie von dem Deutschen in Marineuniform gezeigt, nicht besonders scharf, aber das Gesicht war ganz gut zu erkennen gewesen, zumal er die Mütze nicht aufhatte. Er stand an ein Geländer gelehnt, offensichtlich in Portsmouth aufgenommen, wahrscheinlich auf Spice Island, am Ende der Broad Street Tramway, denn im Hintergrund war verschwommen, aber unverkennbar H. M. S. Victory zu sehen.
Drummond selbst hatte es in der Navy bis zum Lieutenant gebracht, hatte dann seinen Abschied genommen und war als Dritter Offizier auf einem P & O -Liner eingestiegen. Mit neunundzwanzig war er bereits Zweiter Offizier auf der Moldavia der Peninsular & Oriental Steam Navigation Company, die auf der Route London– Melbourne fuhr. Nach der letzten Übung in der Royal Naval Reserve hatte er seinen dritten Ärmelstreifen bekommen, der ihn als Lieutenant mit mehr als acht Dienstjahren auswies. Mitte März bot man ihm an, für 350 Pfund per annum zum Secret Service Bureau überzuwechseln. Das war weniger, als er bei der P & O verdiente, aber er hatte trotzdem angenommen, denn der Dienst auf einem Fracht- und Passagierschiff hatte begonnen, ihn zu langweilen. Auch hatte er genug von diesem frauenlosen Dasein. Er wollte seßhaft werden und vielleicht heiraten, wenn er eine Frau fände, die ihm gefiel.
Bei der Deutschen Botschaft angekommen, bummelt er die Straße hinab bis fast zum Marlborough House und dort den kleinen Weg zur Mall hinunter. Er will einmal um die ganze Western Terrace herumgehen, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Er schlendert unter den Bäumen der Mall entlang und späht möglichst unauffällig zu den Fenstern der Botschaft hinauf. Niemand zeigt sich dort, nur der Himmel spiegelt sich in den Scheiben. Er steigt die breite Waterloo-Treppe hinauf zur Duke-of-York-Säule, die hoch wie ein Fabrikschornstein in den
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