Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Abendessen im Gartenrestaurant. Diesmal spielt eine kleine Kapelle dazu.
Nachher, bei einer guten Zigarre, fragt Seiler Peterman nach seiner Zeit bei der Marine.
» Lange her, junger Mann«, sagt Peterman und kratzt sich das bärtige Kinn, » hab angefangen, als der Krieg mit Frankreich ausbrach, anno achtzehnhundertsiebzig. Ich war gerade sechzehn und meldete mich freiwillig zur Flotte des Norddeutschen Bundes. Da gab es das Kaiserreich ja noch nicht. Sie steckten mich als Schiffsjunge auf die Panzerfregatte Friedrich Carl, ein häßlicher, barkgetakelter Eisenkasten mit Dampfantrieb, sechsundzwanzig Kanonen. Und zu meiner Enttäuschung blieb sie während des ganzen Krieges untätig in der Jade liegen. Na ja, da war ich noch jung und dumm. Heute würde ich sagen, Gott sei Dank.
Im Dezember einundsiebzig, Frankreich hatte kapituliert, und der Krieg war vorbei, kam ich als Matrose auf die Glattdeckskorvette Augusta und sollte auf ihr die Amerikareise mitmachen. Aus der wurde aber nichts, und ich kam wieder auf die alte Friedrich Carl. Nicht ganz ein Jahr später wurden das Schiff und ich mit ihm in die kaiserliche Marine übernommen. Danach ging’s mit dem Panzergeschwader ins Mittelmeer, inzwischen war ich Bootsmannsmaat geworden. In Spanien war ein Bürgerkrieg ausgebrochen, und wir schlugen uns mit aufständischen spanischen Schiffen herum. Haben mal eins geentert und als Prise genommen, die Vigilante, mußten sie aber später wieder freilassen. Zwei lange Jahre blieben wir da unten, mal vor Alicante, mal vor Cartagena, und einmal sollten wir Malaga beschießen, aber die Lage dort beruhigte sich, und so kam es nicht dazu. Im März vierundsiebzig ging es zurück in die Heimat. Ich machte mein Steuermannsexamen und wurde ein Jahr später zum Seconde-Lieutenant, wie das damals hieß, befördert. Danach nahm ich meinen Abschied. Ich hatte genug von Wilhelmshaven und wollte mehr von der Welt sehen.«
Er zieht an seiner Zigarre und hängt wohl Erinnerungen nach. Seiler fragt sich, wie oft Vivian das schon gehört hat. Aber sie macht ein freundliches, ja interessiertes Gesicht. Kein Grund, den sympathischen alten Herrn zu unterbrechen.
Und da fährt er auch schon fort. » Die Bücher«, sagt er. » Daran waren auch die Bücher schuld. Ich war immer eine Leseratte und habe jedes Buch verschlungen, das mir in die Finger geriet. Viele waren’s ja nicht, auf den Kriegsschiffen meist nur billige Abenteuergeschichten oder der übliche seichte Kram für die Jugend. Wie auch immer, ich heuerte jedenfalls beim Norddeutschen Lloyd an und kam als Vierter Offizier auf den Dampfer Strassburg, der die Route Bremerhaven– New Orleans abklapperte. Viermal machte ich die Reise, dann wurde ich Dritter auf der Nürnberg, die Auswanderer von Bremerhaven nach Baltimore brachte. Und dann, im Juni achtzehnachtzig, während eines Landgangs in London, lernte ich meine erste Frau kennen, Elisabeth. Ich musterte ab, nahm Wohnung in London, und wir heirateten. Neun Jahre waren wir zusammen, dann starb sie. Ein paar Jahre danach, dreiundneunzig, traf ich Joceline und nahm sie zur Frau.« Er legt Vivian seine Hand auf den Arm. » Joceline war eine Cecil-Porter, der fast alle Häuser im Cecil Court gehörten. Das machte es möglich, dass wir zusammen dort unseren Buchladen gründen konnten, und bald danach wurde unsere Tochter geboren. Joceline starb leider auch viel zu früh, als Vivian vierzehn war.«
Heikendorf, 23. Juni 1912, Sonntag
Drummond und Melville sind dieses Mal früh in Heikendorf angekommen, gerade rechtzeitig, um kehrtzumachen und Peterman nebst Tochter auf den weißen Dampfer mit der roten Flagge zurück nach Kiel zu folgen. An den Seegartenbrücken haben die beiden sich mit Seiler getroffen.
Jetzt sitzen sie auf der Caféterrasse des Logierhauses Seebadeanstalt und trinken Kaffee. Melville sitzt am Nebentisch, hinter einer Zeitung versteckt, und versucht, sie zu belauschen. Drummond schlendert vor zur Ufermauer und schaut auf die Förde hinaus, auf der zahllose Segelboote, Barkassen und kleine Ausflugsdampfer unterwegs sind. Es ist herrliches Segelwetter bei strahlendem Sonnenschein und Ostwind.
Ihm gegenüber, vor dem Ostufer, liegt der Große Kreuzer Von der Tann. Das Schiff hat Dampf auf, dunkelgrauer Qualm brodelt aus beiden Schornsteinen und wird vom Wind bis hinüber zu ihm getrieben. Das lange Vorschiff wimmelt von weißgekleideten Matrosen, der Kreuzer wirft von den Festmachtonnen los. Ein Schlepper drückt seinen
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