Verdeckt
Du konntest dir doch denken, dass ich beim Aufwachen ausflippen würde.«
Die Stahlaugen saugten sich an ihr fest. »Vielleicht habe ich ja gehofft, dass du nicht ausflippen, sondern etwas anderes tun würdest.« Sein heißer Blick sagte das, was sein Mund nicht aussprach. »Ich habe dich nicht angefasst.«
»Aber angeschaut!«
»Es war dunkel.«
Sie wusste, dass er log. Und das auch noch schlecht. Er hatte sich alles angeschaut, was er sehen wollte. Genau wie sie. Jack setzte sich auf, warf die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Lacey kreischte leise auf, schaute weg und flüchtete ins Badezimmer.
Hinter der abgeschlossenen Tür betrachtete im Spiegel ihr zerzaustes Haar und versuchte, mit reiner Willenskraft ihr Herz zuberuhigen. Wenigstens hatte sie keine Augenringe aus verwischter Wimperntusche. Diese Brust. Diese Augen. Herr im Himmel. Sie rieb sich die Schläfen, als könnte sie damit die verlockenden Bilder aus ihrem Kopf rubbeln. Der entschlossene Blick, mit dem er sich hochgestemmt hatte, hatte bei ihr sämtliche Alarmlämpchen aufblinken lassen. Dass er ohne Jeans im Bett lag, wusste sie. Aber sie hatte keine Ahnung, ob er sonst noch etwas anhatte.
Sie traute ihm zu, dass er zu den Typen gehörte, die Unterwäsche für Zeitverschwendung hielten.
A CHTUNDZWANZIG
Sie ließen ihn nicht hinein.
Frustriert stapfte Michael vor einem kleinen Gemischtwarengeschäft im Südosten Oregons auf und ab. Er hatte sich auf sein entwaffnendes Lächeln verlassen und geglaubt, er könne einfach ans Tor klopfen, seinen Charme spielen lassen und auf diese Art an Dave DeCostas Mutter Linda herankommen. Leider hatte ein Mann aufgemacht.
Die Recherchen über das Grundstück von Frank Stevensons Eltern lagen im Moment auf Eis. Luscos Auftrag interessierte Michael mehr. Das Gespräch mit Amys früherem Freund, Matt Petretti, hatte ihn auch nicht wirklich weitergebracht. Petretti war es sichtlich unangenehm gewesen, in Gegenwart seiner Frau über Amy zu reden. Er hatte nur kurz ein paar Fragen beantwortet, Michael aber nicht viel Neues sagen können.
Erst Luscos Anruf hatte Michael von dem frustrierenden Gefühl befreit, der Trip in den Südosten des Staates wäre reine Zeitverschwendung.
Lusco wollte, dass er ein paar Nachforschungen über die Mutter des Killers anstellte. Außerdem brauchten Lusco und Callahan Informationen über DeCostas jüngeren Bruder Bobby. Sie hielten es für möglich, dass er etwas mit den Morden in und um Portland zu tun hatte und vielleicht der Stalker war, der Lacey bedrohte.
Auch Michael hatte das Gefühl, diese Spur könnte tatsächlich wichtig werden.
Der Mann am Tor des Sektengrundstücks hatte Michael in deutlichen Worten gesagt, was ein Reporter aus seiner Sicht mit seiner Tastatur tun konnte. Michael musste sich eingestehen, dass es vermutlich keine gute Idee gewesen war, dem Kerl seine Visitenkarte unter die Nase zu halten. Die Öffentlichkeit gierte nach Geschichten über Polygamie und fanatische Sekten. Deshalb saßen diesen Freaks sicher ständig irgendwelche Journalisten im Nacken, die auf sensationelle Nachrichtenhäppchen aus waren.
Die Sicherung des Grundstücks erinnerte Michael an Waco, wo vor Jahren so viele Menschen ihre Sektenmitgliedschaft mit dem Leben bezahlt hatten. Hohe Mauern, Zäune, Tore. Laut seinen bisherigen Recherchen regierte der Sektengründer dort wie ein König. Er herrschte uneingeschränkt über seine Frauen und Kinder. Die anderen Männer, die dort lebten, bekamen ihre Frauen von ihm zugeteilt. Eine große, glückliche Familie. Michael dachte an die Bhagwan-Jünger in ihren orangefarbenen Pyjamas. Vor drei Jahrzehnten hatte die Sekte die Big Muddy Ranch im Herzen Oregons übernommen und dort die Siedlung Rajneeshpuram gebaut. Jahre später hatte ihr dramatisches Ende die Schlagzeilen beherrscht.
Die Sekte, die Michael im Augenblick beschäftigte, hatte sich weit draußen auf dem Land, eine Autostunde von Mount Junction entfernt, niedergelassen. Und im Moment sah es so aus, als hätte er sich umsonst hier herausgequält. Lusco versuchte, Unterstützung durch die örtlichen Polizeikräfte zu organisieren. Bislang ohne Erfolg. Michael war auf sich selbst gestellt und er wollte unbedingt rein in diese Festung.
Mit dampfendem Atem ging er weiter vor dem Geschäft auf und ab. Dabei spielte er im Kopf verschiedene Möglichkeiten durch. Was tun? Am Tor darauf zu warten, dass Sektenmitglieder herauskamen, und ihnen dann zu folgen, war sinnlos.
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