Verdeckt
länger, sonst hätte sie längst angerufen und eine Erklärung gefordert. Seine ältere Schwester würde stinksauer sein. Eine ihrer geschwätzigen Freundinnen würde ihr sicher bald unter die Nase reiben, dass die Zeitungen über Harper Immobilien schrieben. Melody kümmerte sich um alles, was mit gesellschaftlichem Engagement und Öffentlichkeitsarbeitzu tun hatte, und würde es ganz und gar nicht schätzen, in den Medien mit einem Mord in Verbindung gebracht zu werden. Mit einer Mordserie.
Er musste etwas unternehmen, bevor die Sache aus dem Ruder lief. Aber was? Jack kam sich vor, als wollte er einen glitschigen Fisch festhalten, der sich zwischen seinen Fingern wand. Normalerweise hatte er alles unter Kontrolle, aber das änderte sich gerade, und er näherte sich mit Riesenschritten einem Zustand, den er nicht kannte: dem der Machtlosigkeit.
Wer tat ihm das an?
Die Hände tief in den Taschen vergraben, marschierte Jack in seinem Büro im Kreis und dachte nach. Er brauchte mehr Informationen. In diesem Puzzle fehlten einige wichtige Teile. Er war versucht, den Reporter anzurufen, Michael Brody, wusste aber, dass er sich damit keinen Gefallen tun würde. Der Zeitpunkt für einen solchen Anruf war denkbar schlecht, denn alles, was er Brody fragen würde, konnte in dessen nächstem Artikel auftauchen.
Er dachte an Lacey Campbell und ihre dunkelbraunen Augen. Das einzige Opfer, das sich DeCostas tödlichem Griff entwunden hatte. Sie steckte genauso tief drin wie er. Vielleicht konnte sie ihm ein paar Fragen beantworten. Zum Beispiel, weshalb Trentons Marke bei den Überresten von Mills gelegen hatte und warum beides auf
seinem
Grund und Boden versteckt gewesen war.
Jacks Gedanken glichen einem Haufen verschlungener, immer fester werdender Knoten.
Er musste sich wehren, sich behaupten. Aber wie?
Er musste noch einmal zurück zum Anfang vor über einem Jahrzehnt, als die ganze Kacke begonnen hatte. Am besten konnte ihm vermutlich die Person weiterhelfen, die damals dabei gewesen war. Hoffentlich hatte Lacey Campbell ein paar Einblicke in das damalige Geschehen und wusste, warum es sie beide nun wieder einholte. Sie zu finden, war sicher kein Problem. Er wollte nur Kontakt mit ihr aufnehmen, um seine Firma schützen zu können.
Und nicht etwa, weil ihre braunen Augen ihn seit zwei Tagen nicht mehr losließen.
Die beiden toten Mädchen hatten schwere Brandverletzungen. Das Feuer hatte sie in einem heruntergekommenen, leerstehenden Haus in Portland im Schlaf überrascht, das Ausreißer und Streuner angezogen hatte wie ein Magnet. Billige Grills sorgten für etwas Wärme, wenn allnächtlich zwischen zehn und dreißig Kids auf den schmutzigen Fußböden schliefen. Das Gebäude war ein bekannter Drogenumschlagplatz. Die Polizei räumte das Haus fast wöchentlich, zerstreute die Kids und Dealer in alle Winde. Aber alle kamen immer schnell zurück. Vernagelte Fenster und Türen waren für junge Leute auf der Suche nach Schutz vor den eisigen Temperaturen kein Hindernis.
Bevor sie den elektrischen Öffner der Doppeltür zu einem der hell erleuchteten sterilen Autopsiesäle im gerichtsmedizinischen Institut drückte, blieb Lacey einen Augenblick lang stehen.
Brandopfer.
Mit leicht zittrigen Beinen kniff sie die Augen zu und atmete mehrmals tief durch. Wasserleichen waren ihr lieber. Sie steckte sich zwei zusammengerollte Wattetupfer hinter der Maske in die Nasenlöcher. Der Geruch verbrannten Fleisches führte groteskerweise immer dazu, dass ihr Magen auf ganz unanständige Weise knurrte. Lacey drückte das Klemmbrett an die Brust und betätigte den Türöffner mit der Hüfte.
Der silberne Schopf ihres Vaters hing über einer Leiche. Ihr Geruch drang bereits durch die Watterollen. Lacey blieb an der Tür stehen.
»Hi. Willst du mal schauen? Jerry hat die Aufnahmen für dich schon gemacht.« Dr. Campbell richtete sich auf und drückte den Rücken durch. Seine Wirbelsäule knackte dabei hörbar.
»Ja. Es dauert nicht lang.« Lacey nickte Jerry zu, dem Assistenten ihres Vaters, der die Gewichte und Maße, die ihr Vater ihm nannte, mit Kreide auf einer Tafel festhielt. Lacey befahl ihren Beinen, den Raum zu durchqueren. Die Digitalkamera fest in der Hand trat sie neben den Metalltisch. Sie betrachtete den blassen Körper, dessen Farbe in deutlichem Kontrast zu der verbrannten Haut des Kopfes stand. Die Hände waren ebenfalls stark verkohlt, doch der Rest der Leiche sah nicht allzu schlimm aus. Anscheinendhatten Kleider
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