Verdeckt
unter dem Artikel hatte sie durchgeatmet. Die Zeitung landete ungelesen im Altpapier. Lacey wusste, dass Michael sich eher die Hand abhacken würde, als in einem seiner Artikel ihren Namen zu erwähnen.
Sie ließ die Augen über die quirlige Schar von Studenten, Patienten und Lehrpersonal in dem übervollen Behandlungsraum schweifen. Weil sie keine panischen Blicke von Studenten auffing, machte sie sich auf den Weg zum Personal-Aufenthaltsraum. Dort warteten in ihrer Tasche die Kopfschmerztabletten.
Auf dem Weg zur Tür bemerkte sie hilflos fummelnde Finger im Mund einer älteren Frau. Lacey blieb stehen. Seufzend zog sie sich Handschuhe über und legte ihre Hände auf Jeffs. Er versuchte gerade äußerst zögerlich, einen Abdruck von den Zähnen im Unterkiefer der Patientin zu machen. So konnte das nichts werden.
»Sie müssen die Lippe beiseite ziehen und der Löffel muss auch seitlich gut aufliegen. Dann halten Sie ihn ruhig, sonst sieht der Abdruck hinterher völlig anders aus als das Gebiss der Patientin.« Mit sicherem Griff zog Lacey die Unterlippe der Frau beiseite und brachte den Löffel mit der Abdruckmasse in die richtige Position. Jeff runzelte angespannt die Stirn. Er warf einen Blick auf die Uhr.
»Wie lang muss ich warten, bis das Zeug fest ist?«
»Arbeiten Sie nicht nach der Uhr.« Lacey tippte mit dem Finger auf die klebrige pinkfarbene Masse, die über die Lippe der Patientin quoll. »Prüfen Sie einfach etwa alle zwanzig Sekunden die Beschaffenheit. Wenn das Material nicht mehr klebrig ist, sondern sich fest anfühlt, ist der Abdruck fertig. Normalerweise dauert das nicht länger als ein oder zwei Minuten.«
Jeff nickte ernst und fing an, das Material alle fünf Sekunden zu testen. Lacey gab sich Mühe, nicht die Augen zu verdrehen.
Sie zwang sich zu warten, bis der Abdruck fertig war, und nicht an ihre bohrenden Kopfschmerzen zu denken. Aus purerGewohnheit schaute sie sich die Röntgenaufnahme auf dem Leuchtschirm an. Am Rand war handschriftlich das Aufnahmedatum vermerkt.
»Die Aufnahme ist neu? Die haben Sie heute erst gemacht?«
Das Bild zeigte, dass die Patientin im Oberkiefer keine Zähne mehr hatte und dass die verbliebenen Zähne im Unterkiefer jeweils nur noch von knapp sechs Millimetern Knochensubstanz gehalten wurden. Einem Bruchteil der üblichen Stärke. Jahrzehntelang unbehandelte Zahnfleischerkrankungen hatten den Knochen zerstört und die Zähne saßen nun sehr, sehr locker.
Jeff nickte und tupfte noch einmal gegen die Abdruckmasse. »Die Aufnahme ist von heute Morgen. Ich brauche einen Abdruck der Zähne im Unterkiefer. Nächste Woche ziehen wir sie und bereiten alles für die Unterkieferzahnprothese vor.«
Lacey biss sich auf die Lippe und versuchte, nicht zu grinsen. Sie sah sich nach einer anderen Lehrkraft um. Sie brauchte Zeugen.
Verflixt.
Es war niemand greifbar.
Die Abdruckmasse war inzwischen fest und Jeff ruckelte halbherzig an dem Löffel im Mund der Patientin. Die starke Saugwirkung sorgte dafür, dass er unverrückbar an seinem Platz saß.
In den hellen Augen der alten Frau lag ein seltsamer Ausdruck, aber Lacey wusste, dass das, was gleich passieren würde, nicht wehtat. »Schieben Sie die Fingerkuppe unter den Rand, damit Luft eintreten kann. Dann heben Sie den Löffel an.« Lacey konnte nur nuscheln, weil sie sich beim Sprechen innen auf die Wange beißen musste, um nicht laut loszulachen. Jeff entfernte den Löffel mit einem beherzten Ruck.
»Oh Kacke!«
Jeffs Aufschrei übertönte sämtliche anderen Geräusche im Raum. Er ließ den Löffel in den Schoß der Patientin fallen und sprang von seinem Stuhl. Alle Augen richteten sich auf ihn. In der pinkfarbenen Abdruckmasse steckten fünf blutige Zähne.
Die Patientin machte keinen Mucks.
»Alles in Ordnung? Geht es Ihnen gut?« Lacey legte der Frau eine Hand auf die Schulter.
Die Frau rubbelte sich ein wenig Abdruckmasse von der Lippe und betrachtete die Katastrophe in ihrem Schoß mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich habe fast nichts gemerkt. So leicht hat mir noch keiner einen Zahn gezogen.« Sie betastete die drei restlichen Zähne in ihrem Mund. »Können Sie die auch so rausmachen?«
»Hmm.« Lacey tippte mit dem Fuß auf den Boden. Sie spürte, wie ihre Kopfschmerzen verflogen. »Mal sehen. Aber die Behandlung heute ist für Sie auf jeden Fall kostenlos.«
S IEBEN
»Heute schon Zeitung gelesen?« Terry Schoenfeld hielt sich nicht lang mit einer Begrüßung auf, als er Jack am Telefon
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