Verdeckt
und Schuhe manches abgehalten. Weil das Haar des Mädchens fast vollständig versengt war, konnte Lacey die Farbe nicht richtig erkennen. Schwarz erschien ihr am wahrscheinlichsten. Vielleicht ein Gothic-Fan. Vielleicht einfach nur verbrannt.
»Rauchgasinhalation?« Laceys Stimme klang piepsig.
»Vermutlich. Ich weiß es bald genauer.«
Bald
war keine Übertreibung. Dr. Campbell jagte durch Autopsien wie Jeff Gordon über eine NASCAR-Rennstrecke. Ihm dabei zuzusehen, war ein Erlebnis. Mit sicheren, ruhigen Händen machte er blitzschnell den Y-Schnitt und klappte die Haut zur Seite. Mit einem Instrument, das der Astschere ähnelte, mit der Lacey ihre Bäume beschnitt, knipste er fix die Rippen durch und wenn er bei der Suche nach Auffälligkeiten die Organe in Scheiben schnitt, sah es aus wie das Tomatenschneiden in einem Werbespot für Küchenmesser. Trotzdem behandelte er jeden Körper mit Würde. Bei jeder Leiche gab er sein Bestes. Laceys Vater war ein handwerklich, medizinisch und emotional hochqualifizierter Gerichtsmediziner.
Er öffnete die Kiefer des verbrannten Mädchens für sie. Lacey schaltete den Digitalrekorder an, der an ihrem wasserdichten Kittel befestigt war, und leuchtete mit einer kleinen, starken Taschenlampe in die klaffende Höhle.
Konzentrier dich nur auf die Zähne.
»Du brauchst einen Gesichtsschutz«, stellte ihr Vater fest.
Jerry beugte sich zu ihr und schob das Band eines transparenten Schildes über ihren Kopf. Der Plastikschutz bedeckte ihr Gesicht von der Stirn bis zum Kinn. Jerry grinste und zwinkerte ihr hinter seinem eigenen Schild hervor zu. Sie hatte bereits eine Schutzbrille und einen Mundschutz angelegt und jetzt kam sie sich vor wie bei einem Giftgasalarm. Sie hatte keine Einwände. Tote konnten völlig überraschend die unfassbarsten Dinge ausstoßen.
Schnell machte sie Bilder von beiden Gebissbögen, während ihr Vater die Lippen und Wangen aus dem Weg hielt. Die verbrannte Haut schälte sich und blätterte bei jeder Bewegung ab. Mithilfe eines Zahnarztspiegels sah Lacey sich zügig den Gaumen, die Zunge und die Mundschleimhaut an. Sie suchte nach Auffälligkeiten.Dann rasselte sie routiniert den zahnärztlichen Befund ins Diktiergerät und war froh, dass ihr Magen sich dabei beruhigte.
»Sechs bis elf – Veneers.« Ihre Augenbrauen hoben sich. »Ebenso an den Frontzähnen im Unterkiefer. Zweiundzwanzig bis siebenundzwanzig. Keine weiteren Sanierungen oder Füllungen. Aber das Opfer befand sich offensichtlich in kieferorthopädischer Behandlung. Seitenzähne weisen bukkal Entkalkungsspuren auf, vermutlich infolge einer festsitzenden Klammer. Möglicherweise wurden mit den Veneers ähnliche Spuren an den Vorderzähnen abgedeckt.« Laceys Herz wurde schwer. »Jemand hat für die Zähne des Mädchens ordentlich Geld ausgegeben«, murmelte sie leise.
Ihr Vater nickte. »Die Jacke und die Schuhe dürften ebenfalls teuer gewesen sein.«
Auf dem Schreibtisch in Laceys Büro lagen elf Patientenakten von Zahnärzten. Die besorgten Eltern vermisster Töchter im Teenie-Alter warteten darauf, dass Lacey die Karteien mit den Gebissbefunden der Brandopfer im Leichenschauhaus abglich. Lacey hatte sich die Unterlagen noch nicht angesehen. Sie untersuchte immer zuerst die Toten und verglich anschließend ihre Ergebnisse mit den Karteikarten. Diesmal hatte sie allerdings bereits die leise Vermutung, dass die Tote die Tochter eines hochrangigen Managers einer Softwarefirma sein könnte. Das Mädchen war vor zwei Monaten verschwunden. Eine ganze Woche lang war damals das Bild der fröhlichen jungen Frau mit dem makellosen Lächeln täglich in den Fünfuhrnachrichten gezeigt worden.
Lacey betrachtete den verbrannten Schädel. Er hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem netten Schulfoto, das sie aus dem Fernsehen kannte. Sie kniff die Lippen zusammen und wollte sich nachdenklich mit der behandschuhten Hand die Stirn reiben, hielt aber inne, als ihr einfiel, dass sie ein Schutzschild trug. Sie schüttelte den Kopf.
»Wo ist das zweite Opfer?«
»Nebenan. Mit ihr bin ich schon fertig.« Ihr Vater griff nach dem Skalpell und sah Lacey mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Das ist der Hinweis, dass ich jetzt besser gehen sollte.
Laceys Magen zog sich zusammen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und hastete zur Tür. Unterwegs zog sie sich die Gummihandschuhe aus und warf sie in den Behälter für OP-Müll.
Eine noch.
Auf dem Weg durch den stillen Flur zu ihrem Büro füllte Lacey die
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