Verdeckt
weiß, wer Sie sind.«
Er blinzelte und richtete sich vollends auf.
»Was haben Sie in meinem Büro zu suchen?« Die Erinnerung an ihr erstes Zusammentreffen war noch frisch. Er musste sich nicht noch einmal vorstellen. Irritiert sah sie von seinen grauen Augen zu ihrem Stuhl. »Und auf meinem Sessel?«
»Ich wollte mit Ihnen reden …«
»Wer hat Ihnen gesagt, wo Sie mich finden?« Die Worte kamen schnell und klangen barscher als beabsichtigt. Die Empfangsdame hatte strikte Anweisungen, alle Besucher anzukündigen. Lacey war deshalb schon einmal mit Sharon aneinandergeraten. Dass Sharon einen fremden Mann in ihr Büro schickte, konnte sie kaum fassen. Schließlich kannte Sharon ihre Geschichte.
Jack fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Bitte seien Sie nicht sauer. Der Frau am Empfang habe ich gesagt, ich wäre von der zahnärztlichen Fakultät.« Anscheinend sah man ihr an, wie wütend sie war, denn seine Augen weiteten sich. »Ihre Empfangsdame hat versucht, mich abzuwimmeln, aber ich bin ein guter Lügner und kann sehr überzeugend sein.« Sein Blick sprang zwischen ihren Augen hin und her.
Als sie schnaubte, wirkte er sofort deutlich weniger angespannt. Ein tastendes Lächeln stahl sich auf seine markanten Züge. Daran, dass er sehr überzeugend sein konnte, zweifelte Lacey keine Sekunde. Die arme Sharon hatte keine Chance gehabt.
Aus dem Flur drangen plötzlich laute Stimmen. Lacey warf einen Blick Richtung Empfang. Sie hörte Sharon, die schrillen, hohen Töne einer verzweifelten Frau und das ärgerliche Gebrumm eines Mannes.
»Was ist denn da los?« Jack schob sich vor sie und schaute in den Flur.
Lacey konnte es sich denken. Sie warf die Unterlagen auf den Schreibtisch, schlängelte sich um Jack herum und lief dem Lärm entgegen. Die weiblichen Stimmen wurden lauter und hysterischer.
Lacey holte Luft, dann drückte sie die Tür zum Vorraum auf. Ungewollt traf sie Sharon damit in den Rücken. Sie hatten den Durchgang zum Institut blockiert.
Sharon sprang beiseite. Die Augen hatte sie weit aufgerissen, auf ihrer Oberlippe standen Schweißperlen. Diese gestandene Frau Anfang fünfzig war völlig durcheinander. »Oh, Dr. Campbell! Sie wollen … Ich wollte nur …« Sie rang die Hände.
»Dr. Campbell?« Ein großer, grauhaariger Mann legte die Hände auf die Schultern einer weinenden Frau. Heftige Schluchzer schüttelten ihren Körper. Die Augen des Grauhaarigen waren trocken, aber gerötet. Die Anspannung ließ die Furchen um den Mund in dem blassen Gesicht noch tiefer erscheinen. Er gab sich alle Mühe, Haltung zu bewahren. »Sie sind Dr. Campbell?«
Ach du lieber Gott. Nicht jetzt.
»Eine von beiden. Es gibt noch den Gerichtsmediziner Dr.
James
Campbell. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Lacey sprach mit ruhiger, fester Stimme. »Sie suchen jemanden.« Das war keine Frage. Sie ging zu dem Paar, nahm die Frau an der Hand und führte sie zur Couch. Ohne ihre Hand loszulassen, nahm Lacey die Schachtel mit den Papiertaschentüchern vom Beistelltisch und hielt sie der Frau mit einem verständnisvollen Blick hin.
Lacey konnte sich vorstellen, wie ihr zumute war.
Die Frau drückte schniefend ein Taschentuch an die Nase. »Wir haben erfahren, dass Sie zwei nicht identifizierte Teenagermädchen hier haben. Unsere Tochter, Madison, ist seit zwei Monaten verschwunden.«
Als Lacey den Ehemann anschaute, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Sie wusste, wer er war.
Der Manager der Softwarefirma.
»Sie sind die Spencers.« Die beiden nickten hoffnungsvoll.
»Ist eines von den Mädchen Madison? Wir haben ihre Zahnarztunterlagen vor einem Monat hergeschickt, als im Fluss eine weibliche Leiche gefunden wurde.« Mr Spencer erschauerte. »Aber das war ein anderes Mädchen.«
Lacey nickte bedächtig. An die scheußlich entstellte Wasserleiche erinnerte sie sich noch gut. »Ich bin für den Gebissabgleich zuständig. Die beiden Mädchen habe ich zwar untersucht, aber ich konnte meine Befunde noch nicht mit den Akten vergleichen, die wir bekommen haben.« Sie machte eine kurze Pause. »Wir müssen die Unterlagen von elf verschiedenen vermissten jungen Mädchen durchgehen.«
»Von elf?« Mrs Spencer brach erneut in Tränen aus. »So viele vermisste Mädchen …«
»Madison trug früher eine feste Klammer. Sie hat Veneers auf allen Frontzähnen.« Mr Spencers Stimme hob sich. Seine Hände gruben sich in die Schultern seiner Frau. »Haben Sie solche Arbeiten bei einer … bei einer der Leichen
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