Verdeckt
zahnmedizinischen Autopsieberichtformulare aus. Im Kopf verglich sie die beiden namenlosen Leichen miteinander. Wie lang würde es dauern, bis sie die Formulare in ihren Händen mit Namen versehen konnte? Das zweite Mädchen hatte ähnliche Brandverletzungen erlitten wie das erste. Lacey hatte gesehen, wo ihr Vater die Kopfhaut zurückgezogen hatte, um den Schädel öffnen und das Gehirn entnehmen zu können. Im Mund der Toten hatte sie schon keine Zunge mehr vorgefunden. Sie war zusammen mit einigen anderen Organen entfernt worden. Ihr Vater hatte notiert, dass die Zunge mit einem metallenen Barbell gepierct war.
Die Seitenzähne des zweiten Mädchens wiesen einige kleine, weiße Kompositfüllungen auf. Die Frontzähne im Unterkiefer standen schief. Sie hatte einen Klasse-II-Biss mit deutlichem Überbiss und nie eine Klammer getragen.
Lacey fand den menschlichen Körper faszinierend. Bei jeder Autopsie lernte sie etwas Neues. Aber wenn es sich bei den Toten um Kinder oder Teenager handelte, machte sie das zornig. Was für eine Verschwendung von Leben. Vielleicht stand ihr das nicht zu, aber sie war wütend auf die Mädchen, weil sie sich unnötig in Gefahr gebracht hatten, und auf deren Eltern, weil sie die Kontrolle über ihre Kinder verloren hatten. Wenn sie einmal selbst Kinder hatte, würde sie nie …
Sie erstarrte und hielt sich am Türrahmen fest. An ihrem Schreibtisch saß ein Mann. Er drehte ihr den Rücken zu. Den Stuhl hatte er bedenklich weit zurückgekippt und konnte die Balance nur halten, weil er einen Fuß unter die untere Schreibtischschublade gehakt hatte. Lacey hatte gute Lust, ihm einen Schubs zu geben.
»Sie sitzen auf meinem Stuhl«, fuhr sie ihn an.
Er zuckte zusammen und eine Millisekunde lang sah es so aus, als würde er tatsächlich gleich zu Boden krachen. Doch er fing sich und fuhr zu ihr herum. Sein unwiderstehlicher Blick bohrte sich in ihren.
Die grauen Augen brachten Laceys Magen zum Flattern. Sie wusste sofort, wer vor ihr saß. Jack Harper. Im Lauf des Wochenendes hatten sich diese Augen viel zu oft in ihre Gedanken gedrängt.
Sie war sprachlos.
Als der athletische Mann sich aus ihrem Stuhl stemmte, wich sie, die Formulare fest an die Brust gedrückt, unwillkürlich einen Schritt in den Flur zurück. Erstaunt bemerkte sie den Anflug von Verlegenheit, der über sein Gesicht huschte, als ihm klar wurde, dass er sie erschreckt hatte.
Er war groß – aber
wie
groß, das hatte sie vergessen. Lacey machte gleich noch einen Schritt von ihm weg, doch ihre Blicke hatten sich in einander verhakt. Irgendetwas schien in ihm zu brodeln. Ihr Herz schlug heftig, jedoch nicht aus Angst. Sie war nur völlig überrascht.
»Tut mir leid.« Jack Harper zog eine Grimasse. »Ich warte schon eine Weile und war ganz in Ihre Bildergalerie vertieft.« Sie schauten beide zum Computer. Er hatte ihren Bildschirmschoner betrachtet. Erinnerungsbilder. Schnappschüsse. Ein Bild von ihr und ihrem Vater, auf dem sie sich beide über nackte, braune Knochen auf einem Metalltisch beugten, ließ ihn leise aufschnauben. Laceys Nase schwebte nur eine Handbreit über den Gebeinen. Sie funkelte ihn an. Dieses Bild war nicht lustig. Es war im Central Identification Lab in Hawaii aufgenommen worden, einer Einrichtung zur Identifizierung der sterblichen Überreste von vermissten Soldaten.
Lacey dachte an den Tag vor sechs Jahren zurück, an dem das Foto gemacht worden war. Sie hatten die vermischten Knochen zweier Männer vor sich gehabt. Man nahm an, dass es sich um einen in Vietnam abgestürzten Piloten und seinen Copiloten handelte. Das Durcheinander von Fragmenten hatte sie tief berührt und in dem Wunsch bestärkt, zu der Spezialistin zu werden, die sie heute war.
Als Nächstes erschien ein Schnappschuss von ihr und ihrer Freundin Amelia an einem Strand in Mexico auf dem Bildschirm. Angesichts der beiden knappen Bikinis wurden Laceys Lippen schmal. Sie mochte dieses Bild sehr. Amelia warf darauf ausgelassen lachend den Kopf zurück. Sie hatten sich gegenseitig den Arm um die Schultern gelegt und hielten blaue tropische Drinks in der Hand.
»Hübsche Bilder.«
Jack ließ die Augen nicht von dem Strandbild. Um seine Lippen spielte ein Lächeln.
Oh Mann!
Verärgert starrte Lacey sein Profil an. Er hatte es geschafft, sie zu erschrecken und sie verlegen zu machen. Und das in einem Zeitraum von nicht ganz zehn Sekunden.
Sein Blick sprang zu ihr zurück. Sein Lächeln verflog. »Ich bin Jack Ha…«
»Ich
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