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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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hinunter und schaute ihr ins Gesicht. »Sie können mir vertrauen. Ich lasse Sie nicht allein. Er kehrt nicht zurück – er weiß , dass wir den Tunnel durchsucht haben, und er wäre verrückt, wenn er noch mal herkäme. Ich bleibe oben am Schacht.«
    »Und wenn Sie weggehen müssen, um ein Funknetz zu finden?«
    »Dann sicher nicht weit.« Er schwieg und starrte sie an. »Sie sehen blass aus.«
    »Ja.« Sie zog die Schultern hoch und zitterte übertrieben. »Mir ist … Sie wissen schon. Es ist beschissen kalt. Das ist alles.«
    »Hier.« Er wühlte in seiner Bauchtasche und zog ein zerdrücktes, in Zellophan verpacktes Sandwich und eine halb volle Flasche Evian heraus. »Mein Lunch. Sorry – ein bisschen unansehnlich.«
    Sie schob die Hand durch das Loch, nahm ihm das Sandwich und die Flasche Wasser ab und steckte beides in den Rucksack, der unter dem Deck hing. »Whisky ist da vermutlich wohl keiner?«
    »Essen Sie einfach.«
    Er hatte den Kanal halb durchquert, als er plötzlich stehen blieb und sich umsah. Einen Augenblick herrschte Stille, danach kam er wortlos zurück und schob seine Hand durch das Loch. Sie starrte sie einen Moment lang an und legte dann ihre Hand in seine. Beide schwiegen. Einen Moment später zog Prody die Hand zurück und watete in Richtung Seil. Er blieb kurz stehen und ließ den Blick durch den Tunnel wandern, über die Buckel und Hügel im Wasser. Anschließend packte er das Seil und begann hinauszuklettern.

59
    J anice Costello hatte eine Schwester, die auf dem Land in der Nähe von Chippenham lebte. Am Nachmittag fuhr Caffery dorthin. Es war ein verschlafenes Dorf; an den Cottages hingen Pflanzkörbe, es gab einen Pub, eine Post und eine Tafel, auf der stand: Das sauberste Dorf in Wiltshire 2004 . Als er auf das Haus zuging – es war ein Cottage aus Feldsteinen mit einem Rieddach und Fenstern mit steinernen Mittelpfosten –, erschien Nick in der niedrigen Tür. Sie trug ein malvenfarbenes Kleid, und statt der hochhackigen Stiefel hatte sie türkisfarbene chinesische Pantoffeln an den Füßen, offensichtlich ausgeliehen. Immer wieder legte sie den Finger an die Lippen, damit er nicht so laut sprach. Janices Mum und ihre Schwester befanden sich oben im Schlafzimmer, und Cory war abgehauen – niemand wusste genau, wohin.
    »Und Janice?«
    Nick zog ein Gesicht. »Kommen Sie lieber mit nach hinten.« Sie führte ihn durch die niedrigen Räume, vorbei an einem gemütlichen Feuer, vor dem zwei Labradorhunde schliefen, und schließlich hinaus in die Kälte auf die hintere Terrasse. Eine Rasenfläche erstreckte sich hinunter zu einer niedrigen Hecke, hinter der die weite Oolithebene im Süden der Cotswolds begann. Reif lag auf den zerfurchten Feldern, und der Himmel war bleigrau.
    »Sie hat mit niemandem gesprochen, seit sie aus dem Krankenhaus gekommen ist.« Nick deutete auf eine Gestalt, die mit dem Rücken zum Cottage auf einer Bank am unteren Ende eines kleinen Rosengartens saß. Eine Steppdecke lag um ihre Schultern. Ihr dunkles Haar war zurückgekämmt, und sie starrte auf die Felder hinaus, wo die kahlen Bäume den Himmel berührten. »Nicht mal mit ihrer Mutter.«
    Caffery knöpfte sich den Mantel zu, schob die Hände in die Taschen und ging den schmalen, von Eiben gesäumten Weg zu Janice hinunter. Als er vor ihr stehen blieb, hob sie den Kopf und starrte ihn an. Sie zitterte. Ihr Gesicht wirkte nackt ohne Make-up, und Nase und Kinn waren gerötet. Die Hände, die sich am Hals in die Steppdecke krallten, waren blau vor Kälte. Emilys Stoffhase lag auf ihrem Schoß.
    »Was?«, fragte sie. »Was ist? Haben Sie sie gefunden? Bitte sagen Sie’s. Was immer es ist – bitte sagen Sie’s einfach.«
    »Wir wissen nichts – immer noch nicht. Es tut mir so leid.«
    »O Gott.« Sie legte eine Hand an die Stirn. »O Gott, o Gott. Ich halte das nicht aus. Ich halte es einfach nicht aus.«
    »Sobald wir etwas hören, erfahren Sie es als Erste.«
    »Ob schlecht oder gut? Versprechen Sie mir, dass ich es als Erste erfahre – egal, ob schlecht oder gut?«
    »Ob schlecht oder gut. Ich verspreche es Ihnen. Darf ich mich setzen? Ich muss mit Ihnen sprechen. Wir können Nick dazuholen, wenn Ihnen das lieber ist.«
    »Wieso? Sie kann doch nichts ändern, oder? Niemand kann etwas ändern. Stimmt’s?«
    »Eigentlich nicht.«
    Er nahm neben ihr auf der Bank Platz, streckte die Beine aus, legte die Knöchel übereinander und verschränkte die Arme. Die Kälte ließ ihn die Schultern

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