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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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und winkte dann Jonathan heran.
    »Stellen Sie ihn hin.« Er schob ein paar Sachen auf dem Tisch zur Seite. »Hier.«
    Jonathan setzte den Laptop auf die freigeräumte Fläche ab und klappte ihn auf. Einen Augenblick später erwachte der Computer zum Leben. Das Foto von Moon, der mit der Santa-Claus-Maske auf dem Bett lag, füllte den Bildschirm aus. Es war herangezoomt worden, sodass man nur noch einen Teil der Wand und einen Teil seiner Schulter erkennen konnte. »Da.« Jonathan klopfte mit dem Fingernagel auf den Bildschirm. »Sehen Sie?«
    Caffery und Q traten näher heran. »Was sollen wir sehen?«
    »Das Bild da. Die Zeichnung.«
    An der Wand über dem Bett hing eine Filzstiftzeichnung. Eine mythische Landschaft aus der Fantasie eines kleinen Mädchens. Martha hatte Wolken, Herzen und Sterne gemalt sowie eine Seejungfrau in der oberen Ecke. Sie selbst stand an der Seite und hielt den Zügel eines weißen Ponys. In der Nähe, losgelöst von allem, als schwebten sie, waren zwei Hunde.
    »Sophie und Myrtle.«
    »Was ist mit ihnen?«
    »Kein Halsband. Keine Blumen.«
    »Hä?«
    »Philippa hatte am ersten November Geburtstag. Martha hat Sophie für diesen Tag feingemacht. Und danach ging sie hinauf und schmückte Sophie auf dem Bild mit Blumen und Halsbändern. Rose erinnert sich daran. Philippa auch. Aber sehen Sie hin: keine Blumen, keine Halsbänder auf diesem Bild.«
    Caffery richtete sich auf. Heiße und kalte Schauer überliefen ihn. Alles, was er für sicher gehalten hatte, war falsch. Falsch, komplett falsch, auf Sand gebaut. Plötzlich stand der ganze Fall auf dem Kopf.

58
    D ie Ausrüstungstasche schlug unregelmäßig klirrend gegen die tropfende Tunnelwand, und das Geräusch hallte von dem Kahn wider. Flea kauerte flach atmend im Bug und zitterte unkontrolliert. Sie schälte das T-Shirt vom Bein. Es löste sich nur langsam; teilweise klebte es an dem bereits trocknenden Blut. Die Wunde war eine verkrustete rote Linie. Sie drückte versuchsweise auf die Haut. Die Wunde hielt. Schnell riss sie das verklebte T–Shirt vollends herunter und streifte es sich über den Kopf. Dann zog sie ihren Neoprenanzug wieder hoch und den Reißverschluss zu, glitt lautlos von der Bank herunter ins Wasser, um sich vor das Loch zu schieben.
    Das Seil draußen schwang hin und her und drehte sich. Es warf lange, hässliche Schatten. Sie tauchte tiefer ins Wasser, streckte die Hand hinein und bewegte sie vorsichtig im Schlick hin und her. Sie war es gewohnt, Schlamm und Wasser tastend abzusuchen; das verlangte ihr Beruf, und ihre Finger waren darauf trainiert, es auch in diesen dicken Handschuhen zu tun. Sie hatte das abgebrochene Armeemesser schnell gefunden, wischte es ab und klappte den Schraubenzieher heraus. Lautlos watete sie zu dem Loch, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und legte den Kopf zurück, sodass sie in den Schacht hinaufspähen konnte.
    Jemand stand auf dem Eisengitter. Ein Mann. Sie sah ihn von hinten. Seine Füße steckten in braunen Wanderstiefeln, in die eine braune Cargohose gestopft war. Eine schwarze Bauchtasche hing um seine Taille. Er hielt sich an den Pflanzen fest, die aus der Schachtwand wuchsen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, als er zwei Schritte näher an den Rand des Gitters trat und in den Tunnel hinabschaute. Er wandte ihr immer noch den Rücken zu, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, aber seine Haltung erweckte den Eindruck, als wäre er nicht ganz sicher, ob er hier wirklich das Richtige tat. Er schien kurz zu überlegen, ging dann in die Hocke und bewegte sich weiter auf den Rand des Gitters zu. Die Schwerkraft tat das ihre, und er geriet ins Rutschen. Er packte das Seil, bremste damit seinen Abstieg und ließ sich langsam in das schmutzige Wasser hinunter.
    Dann stand er im Schatten, streckte beide Arme schützend aus und sah sich vorsichtig um. Er beugte sich vor, um auch in die dunkleren Winkel zu spähen. Kopf und Schultern schoben sich für einen Augenblick ins Licht, und Flea ließ alle Luft aus ihrer Lunge entweichen. Es war Prody.
    » Paul !« Sie schob das Gesicht ins Loch. » Paul – ich bin hier !«
    Er fuhr herum, als er ihre Stimme hörte. Riss abwehrend die Hände hoch, wich einen Schritt zurück und starrte die Schute an, als traute er seinen Ohren nicht.
    » Hier! Im Kahn.« Sie schob die Finger durch das Loch und wackelte damit. »Hier.«
    »Scheiße. Flea ?«
    »Hier!«
    »Mein Gott.« Er watete auf sie zu. Hose und Schuhe wurden nass vom Schlamm.

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