Verderbnis
»O Gott, o Gott.« Einen halben Meter vor ihr blieb er stehen und glotzte sie an. »O Gott, wie sehen Sie denn aus?«
»O fuck .« Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Sie schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. »Ich dachte wirklich, ich sitze hier fest. Ich dachte, Sie hätten meine Nachricht nicht gekriegt.«
»Nachricht? Hab ich nicht. Mein Telefon ist weg. Aber als ich Ihren Wagen im Dorf gesehen hab, musste ich gleich daran denken, wie Sie …« Er schüttelte den Kopf. »Mein Gott, Flea. Alle machen sich Sorgen Ihretwegen. Inspector Caffery – alle. Und …« Sein Blick wanderte an dem Lastkahn entlang, als könnte er immer noch nicht ganz fassen, dass sie so dumm gewesen war, hier herunterzusteigen. »Was, zum Teufel, machen Sie denn da drin? Wie sind Sie überhaupt da reingekommen ?«
»Über das Heck. Diese Schute reicht bis auf die andere Seite dieser Einbruchstelle. Ich bin dahinter durch den Tunnel gekommen und kann hier nicht raus.«
»Durch den Tunnel ? Und dieses …« Dann ging ihm anscheinend ein Licht auf. Er drehte sich langsam um und schaute zum Luftschacht. »Sie haben dieses Seil nicht in den Schacht gehängt?«
»Paul, hören Sie«, zischte sie, » das hier ist es . Er hat sie über die Felder hierhergetragen. Das da ist sein Kletterseil, nicht meins.«
Prody drückte den Rücken an den Kahn, als befürchtete er, der Entführer könne ihn von hinten attackieren. Er atmete tief ein und geräuschvoll wieder aus: Hoah . »Okay. Gut. In Ordnung.« Er wühlte in seiner kleinen Bauchtasche herum und zog eine Stahllampe heraus. »Okay.« Er knipste sie an und hielt sie vor sich wie eine Waffe. Sein Atem ging schnell.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Flea. »Er ist jetzt nicht hier.«
Prody leuchtete in die dunkelsten Ecken hinein. »Sind Sie sicher? Sie haben nichts gehört?«
»Ich bin sicher, ja. Aber schauen Sie mal – da drüben im Wasser. Der Schuh. Sehen Sie ihn?«
Prody lenkte den Lichtstrahl auf die Stelle. Er schwieg eine ganze Weile, und sie hörte nur sein Atmen. Dann stieß er sich vom Kahn ab und watete durch das Wasser. Vor dem Schuh blieb er stehen und beugte sich darüber, um ihn zu betrachten. Flea konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber er hielt lange Zeit inne. Schließlich richtete er sich auf und verharrte einen Moment in dieser Stellung, den Oberkörper leicht zurückgeneigt und eine Faust auf die Brust gepresst, als hätte er Verdauungsstörungen.
» Was ?«, flüsterte sie. »Was ist los?«
Er zog ein Telefon aus der Tasche und drückte mit dem Daumen auf die Tasten. Sein Gesicht leuchtete aschfahl im blassblauen Licht des Displays. Er schüttelte das Telefon. Drehte es schräg zur Seite, hielt es hoch. Watete zum Luftschacht, reckte das Handy dort in die Höhe, starrte blinzelnd auf das Display und drückte immer wieder auf die Ruftaste. Nach einer Weile gab er auf. Er steckte das Telefon ein und kam zurück zum Kahn. »Welchen Provider haben Sie?«
»Orange. Und Sie?«
»Scheiße. Ich auch. Prepaid momentan.« Er trat einen Schritt zurück und schaute an der Schute entlang. »Wir müssen Sie da rausholen.«
»Da ist eine Luke an Deck. Ich hab’s schon versucht, aber sie rührt sich nicht. Paul? Was ist mit dem Schuh?«
Er legte beide Hände auf die Bordkante, stemmte sich hoch und stützte sich auf seine zitternden Arme. Sein Körper hing an der Bordwand herunter. Nach ein, zwei Augenblicken glitt er wieder hinab ins Wasser.
»Was ist mit dem Schuh, Paul?«
»Nichts.«
»Ich bin nicht blöd.«
»Konzentrieren wir uns darauf, Sie hier rauszuholen. Durch die Luke können Sie nicht. Da steht eine schwere Seilwinde drauf.«
Er ging an dem Kahn entlang, strich mit der Hand über die Bordwand und blieb hier und da stehen, um sie genauer zu inspizieren. Sie hörte, wie er weiter hinten, nah am Einbruch, dagegenhämmerte. Als er zurückkam, lag ein dünner Schweißfilm auf seiner Stirn. Er war nass und voller Schlamm und sah plötzlich schrecklich aus.
»Hören Sie zu.« Er blickte ihr nicht in die Augen. »Wir machen Folgendes.« Er biss sich auf die Unterlippe und spähte in den Luftschacht hinauf. »Ich klettere da hoch, bis ich ein Funknetz habe.«
»Gab es im Schacht eins?«
»Ich … Ja. Ich meine, ich glaube, es gab eins.«
»Aber Sie wissen es nicht?«
»Ich hab nicht nachgesehen«, gestand er. »Aber wenn es im Schacht keins gibt, dann oben.«
»Ja.« Sie nickte. »Natürlich.«
»Hey.« Er beugte sich zum Loch
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