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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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seiner Fleecejacke und schloss den Druckknopf, damit er nicht herausfallen konnte. Dann ließ er sich in eine Hockstellung sinken und fing an, den Boden abzusuchen. Flea umklammerte die Ränder des Lochs noch fester und drückte das Gesicht hinein. Sie atmete mit offenem Mund und schaute angestrengt hinaus.
    Er schaufelte Laub und Schlamm zur Seite und warf den Dreck mit vollen Händen hinter sich wie ein Hund, der ein Loch gräbt. Nach ein paar Minuten hörte er auf. In der Hocke schlurfte er ein wenig näher heran und begann dann vorsichtig zu scharren. Der Boden war weich; wie die Einbrüche bestand er hauptsächlich aus Bleicherde, in der vereinzelt Felsbrocken steckten. Doch sie glaubte nicht, dass es ein Fels war, den er da freilegte. Dafür sah es zu regelmäßig, zu klar geformt aus. Es konnte ein Stück Wellblech sein. Ein Gefühl von Schwäche überkam sie und raubte ihr den Atem. Es war eine Grube. Sie hatte sie bisher nicht bemerkt – und hätte sie auch nie bemerkt –, denn sie war gut mit Erde bedeckt. Aber sie wusste instinktiv, um was es sich handelte: um ein Grab. Irgendwie hatte Prody auf dem Boden des Kanals eine Grube ausgehoben. Martha würde dort begraben sein.
    Einige Augenblicke lang hockte er da und schaute in die Grube. Scheinbar zufrieden mit dem, was er gesehen hatte, begann er, sie wieder mit Erde zu bedecken. Flea erwachte aus ihrer Trance. Sie duckte sich unter dem Rucksack hinweg, watete dahin zurück, wo sie den Grubenstempel ins Wasser geworfen hatte, und tastete mit ausgestreckten Armen blindlings danach. Wenn sie ihn fände, könnte sie ihn in den hinteren Laderaum schleifen, ihn dort irgendwo festkeilen und gegen die geschlossene Luke im Schott stemmen. So würde sie ein bisschen Zeit gewinnen, aber nicht genug. Sie richtete sich auf. Ihr Blick huschte hin und her und fiel auf das Leinenfach.
    Das ist kein Bonbon, Flea …
    Verstohlen schob sie ihre Hand in den Rucksack, vorbei an dem harten, salzigen Chemikalienbrocken, und betastete den übrigen Inhalt: den Meißel, die Klemmgeräte, die grüne Fallschirmleine, die sie überallhin begleitete, weil ihr Vater darauf geschworen hatte. Unterschätze niemals die Probleme, aus denen dich eine Fallschirmleine befreien kann, Flea. Ihre Finger fanden einen kleinen Gegenstand aus Plastik. Noch einer von Dads unentbehrlichen Begleitern. Normalerweise hatte sie zwei Stück dabei, doch heute waren es sogar drei, denn ganz unten ertastete sie noch eins. Sie biss die Zähne zusammen und schaute wieder hinauf zu dem Leinenfach.
    Draußen hörte sie ein Platschen. Näher an der Schute, als sie erwartet hätte. Noch eins. Noch näher. Noch eins. Als sie begriff, dass er auf sie zugelaufen kam, erfolgte bereits der Aufprall. Es war, als würde der Kahn sich albtraumhaft in die Höhe heben; er bebte, als Prody sich gegen die Außenwand warf. Sie hörte, wie er zurücktaumelte und ins Wasser fiel. Sie zog den Kopf ein und wich vor dem Rucksack zurück. Ein helles Flackern huschte an dem Bullauge vorbei. Dann war es wieder still.
    Sie fing an, vor Angst zu hecheln, konnte es nicht unterdrücken. Sie schaute zum Schott; es schien meilenweit entfernt zu sein, am anderen Ende eines sehr langen, schmalen Tunnels, dessen Wände hin- und herschwankten. Nichts war mehr real. Es erschien ihr wie etwas, das sie geträumt hatte.
    Wieder platschte es ein paarmal hintereinander. Diesmal kam das Geräusch von hinten. Sie krümmte sich nach vorn zusammen. Spannte sich an. Prody rannte genau hinter ihr gegen die Bootswand. Sie konnte tatsächlich sein Gewicht fühlen. Es war, als wollte er die Schute aus dem Wasser treiben.
    » Hey !« Er hämmerte gegen die Bordwand. Mehrere harte Schläge. » Aufwachen da drin! Aufwachen! «
    Sie tastete sich wie betäubt zu dem Sims, setzte sich darauf, legte den Kopf in die Hände und versuchte, das Blut aufzuhalten, das aus ihrem Gehirn zu fließen schien. Ihre Brust hob und senkte sich krampfhaft, und Schauer liefen ihr über den Rücken.
    Gott, Gott, o Gott. Das war der Tod. Das war ihr Tod. So würde es enden.

65
    D ie Frau, die im Morgenmantel in der Kieszufahrt stand, hatte den größten Teil ihres Lebens den Namen Skye Blue getragen. Aber wie hätten Mr. und Mrs. Blue, die beiden Hippies, ihre einzige Tochter auch sonst nennen sollen, wenn nicht »Himmelblau«? Eigentlich konnte sie froh sein, dass sie nicht Brown geheißen hatten. Erst seit dem vergangenen Jahr, als ein anständiger Mann mit dem vernünftigen Namen

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