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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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arbeiten.«
    Caffery sank auf die Fersen zurück, umfasste seine Stirn mit Daumen und Zeigefinger, drückte auf die Schläfen und atmete langsam und tief ein und aus. Fuck, fuck, fuck . Er würde besiegt werden. Nicht von diesem Miststück von Ärztin, sondern von Prody selbst. Dieser Drecksack. Dieser gerissene Drecksack hätte es wirklich nicht besser hinkriegen können.
    Die Ärztin drückte weiter auf den Beatmungsbeutel, während der Sanitäter die Herzmassage fortsetzte und dabei laut zählte. Die Linie auf dem Monitor blieb unverändert, während der Pfeifton von den Bäumen widerhallte. Auf der Lichtung rührte sich niemand. Die Polizisten standen wie erstarrt da und verfolgten entsetzt, wie der Sanitäter immer weiterpumpte.
    »Nein.« Nach einer knappen Minute hörte die Ärztin auf mit den Beatmungsversuchen und ließ den Beutel auf Prodys Brust sinken. Sie legte dem Sanitäter eine Hand auf den Arm, damit er seine Herzmassage beendete. »Er ist asystolisch. Flatline. Die kapillare Auffüllung findet nicht mehr statt. Wirklich, das hat keinen Sinn. Sind wir uns einig, dass wir aufhören?«
    »Das ist nicht Ihr Ernst?« Caffery konnte sich nicht bremsen. »Sie wollen ihn einfach sterben lassen?«
    »Er ist schon tot. Er hat zu viel Blut verloren.«
    »Verdammt, ich glaube, ich höre nicht richtig. Tun Sie was. Fuck , defibrillieren Sie ihn oder sonst was.«
    »Hat keinen Sinn. Da ist kein Blut mehr in ihm. Er ist abgeschaltet. Wir können sein Herz stimulieren, bis wir schwarz werden, aber wenn da kein Blut ist, das gepumpt werden kann …«
    »Ich habe gesagt, tun Sie was, verdammt!«
    Sie starrte ihn eine Weile an. Dann zuckte sie die Achseln. »Also gut.« Mit wütend zusammengepressten Lippen zog sie den Reißverschluss ihres grünen Notfallrucksacks auf, brachte ein paar Schachteln zum Vorschein und schüttelte zwei Folienpackungen heraus. »Ich werde Ihnen zeigen, wie sinnlos das ist. Adrenalin, ein Milligramm. Genug, um die ›Titanic‹ wieder in Fahrt zu bringen.« Sie riss das erste Päckchen mit den Zähnen auf, nahm eine präparierte Injektionsspritze heraus und reichte sie dem Sanitäter. »Geben Sie danach das hier: drei Milli Atropin. Spülen Sie mit Kochsalz nach.«
    Der Sanitäter öffnete das Injektionsventil an dem Venflon-Venenkatheter, spritzte die Medikamente hinein und spülte nach, damit sie schnell zum Herzen gelangten. Caffery starrte auf den Monitor. Die Flatline zuckte nicht. Die Ärztin auf der anderen Seite der Trage ignorierte den Monitor; sie beobachtete Caffery und ließ ihn nicht aus den Augen. »Tja«, sagte sie, »da ist der Defibrillator. Soll ich ihn einschalten und den Mann hüpfen lassen wie eine Marionette? Oder glauben Sie jetzt, dass ich weiß, wovon ich rede?«
    Caffery ließ die Hände sinken und setzte sich hilflos ins Gras. Er starrte Prodys schlaffen Körper an. Die Wachsmaske des Todes schob sich langsam über sein Gesicht. Auf dem Pulsfrequenzmonitor leuchtete die stetige gerade Linie. Die Ärztin schaute auf die Uhr, um den Zeitpunkt des Todes zu notieren. Caffery sprang auf und wandte sich ab, so schnell er konnte. Er schob die Hände in die Taschen und ging zwanzig Schritte weit weg. Das gefrorene Gras knirschte unter seinen Füßen. Am Rand der Lichtung blieb er stehen; ein Stoß gefällter Birken blockierte den Weg. Er hob den Kopf und versuchte, sich auf den Himmel über den Zweigen zu konzentrieren. Auf die Wolken.
    Er betete, dass etwas Natürliches und Ruhiges kommen und sich kühl auf seine Gedanken legen möge. Er fühlte, dass Rose und Janice zwischen den Bäumen standen und das alles mitansahen. Seit einer halben Stunde wusste er, dass sie da waren, und schon lange spürte er ihre Blicke, die sich in seinen Kopf bohrten. Sie warteten darauf, dass er die Fakten auf der Lichtung zusammentrug und in einen angemessenen Aktionsplan verwandelte. Und wie, zum Teufel, sollte er das anfangen, wenn der Einzige, der ihnen einen Hinweis auf Marthas und Emilys Aufenthaltsort geben konnte, tot auf einer Trage im Gras lag?

80
    D ie Männer, die Emily und Martha aus dem Schacht zogen, lächelten. Sie lachten und riefen einander, sie hoben die Hände und winkten triumphierend. Die beiden Mädchen waren in schneeweiße Laken gehüllt. Martha wirkte bleich, aber Emily war rosig und fröhlich und ganz unversehrt; sie saß aufrecht auf der Trage und reckte eifrig den Hals, um Janice in der Menge zu entdecken. Goldenes Licht lag auf dem Gelände. Licht und Lachen

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