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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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garantiere ich Ihnen.«
    »Er atmet noch.«
    Sie nickte. »Das höre ich. Er atmet schnell. Das heißt, er hat so viel Blut verloren, dass wir von Glück sagen können, wenn er es überhaupt noch bis ins Krankenhaus schafft. Sobald er hier oben ist, kommt er in den Hubschrauber.«
    »Dann komme ich mit.«
    Sie schaute ihn lange an und lächelte dann beinahe mitleidig. »Mal sehen, in welchem Zustand er sich befindet, wenn er ankommt, ja?« Sie hob den Kopf und sah die Polizisten an. »Wenn er da ist, herrscht hier Alarmstufe Rot. Es wird folgendermaßen ablaufen: Sie« – sie wies auf zwei der Männer – »übernehmen die beiden oberen Ecken der Trage, und der Rest übernimmt die unteren. Ich werde Sie warnen: ›Bereit zum Anheben!‹, und dann kommt der Befehl: ›Anheben!‹ Und wir gehen geradewegs zum Hubschrauber. Kapiert?«
    Alle nickten und spähten zweifelnd in den Schacht. Das Quietschen des Flaschenzugs hallte über die Lichtung. Caffery rief dem Kriminaltechniker, der die letzten zwanzig Minuten mit einer Videokamera am Luftschacht gefilmt hatte, zu: »Zeichnet das Ding auch den Ton auf?«
    Der Mann wandte den Blick nicht vom Display; er streckte nur einen Daumen in die Höhe und nickte.
    »Dann werden Sie mit mir zum Hubschrauber laufen. Bleiben Sie so dicht dran, wie Sie können – ich will jeden Pieps hören, den er macht. Treten Sie den Typen hier auf die Zehen, wenn Sie müssen.«
    »Wenn Sie uns wie Profis behandeln«, rief die Ärztin, »werden Sie sehr viel mehr erreichen.«
    Caffery ignorierte sie und trat an den Rand des Luftschachts. Die Seile knarrten unter dem Dreifuß. Das Piepen des Herzmonitors und Prodys Atemgeräusche wurden lauter. Der erste Mann des Bergungsteams tauchte auf. Ein Mitglied der Mannschaft oben zog ihn aus dem Loch. Beide drehten sich um und halfen mit, die Trage heraufzuhieven. Cafferys Handflächen wurden feucht, und er wischte sie vorn an seiner kugelsicheren Weste ab.
    »Hau ruck !«
    Die Trage kam halb zum Vorschein und schwebte schräg über der Kante. »Er ist tachycard.« Der begleitende Sanitäter kletterte mit Blut und Lehm beschmiert heraus und hielt einen Infusionsbeutel hoch. Noch während er sich aufrichtete, ratterte er einen Schwall von Informationen für die Ärztin herunter. »Puls hundertzwanzig, Atemfrequenz achtundzwanzig bis dreißig; die Pulsoxymeterwerte sind während des Aufstiegs senkrecht abgestürzt – vor ungefähr vier Minuten. Kein Schmerzmittel – nicht in seinem Zustand –, aber ich habe ihm fünfhundert Milliliter Kochsalz gegeben.«
    Das Oberflächenteam zog die Trage vollends hoch, und mit einem Ruck landete sie auf dem harten, kalten Boden. Ein paar Steine lösten sich und verschwanden klappernd in der Dunkelheit. Prodys Augen waren geschlossen. Sein bläulich verfärbtes Gesicht, eingeklemmt in einer Halsschiene, die es wie der Gesichtsschutz eines Boxers zusammenquetschte, wirkte ausdruckslos. Er war von Dreck und getrocknetem Blut bedeckt. Seine Joggingjacke aus Nylon hatte bei der Explosion Feuer gefangen und war geschmolzen; verbrannte Haut schälte sich von Hals und Händen. Die Trage unter der Aluminiumdecke war dunkelrot und nass.
    Das Team ging an den Ecken der Trage in die Hocke, bereit zum Anheben. Im selben Moment fing Prody an zu zittern.
    »Halt. Er krampft.« Die Ärztin hockte sich neben die Trage und schaute auf den tragbaren Monitor. »Der Puls geht runter …«
    »Was ist?«, fragte Caffery. »Was ist los?« Das Gesicht der Ärztin war konzentriert. Caffery bekam einen trockenen Mund. »Vor fünf Sekunden ging’s ihm noch gut. Was ist passiert?«
    »Es ging ihm nicht gut«, schrie die Ärztin. »Das habe ich Ihnen gesagt. Sein Puls ist jetzt bei fünfundvierzig, vierzig, ja, er geht runter – das ist eine Bradykardie, und ehe Sie sich versehen, wird er …«
    Aus dem Monitor ertönte ein langer, gleichförmiger Pfeifton.
    »Scheiße. Herzstillstand. Druckmassage, irgendjemand! Ich werde intubieren.«
    Ein Sanitäter beugte sich über die Trage und begann mit der Herzdruckmassage. Caffery schob sich zwischen zwei andere und kniete sich in das blutige Gras. » Paul « ! , schrie er. » Du Stück Scheiße. Paul? Fuck, ich rate dir, mit mir zu reden, hörst du? Ich rate dir, rede mit mir .«
    »Aus dem Weg.« Das Gesicht der Ärztin war schweißnass, als sie die Kehlkopfmaske in Prodys schlaffen Mund schob und das Ventil des Beatmungsbeutels daran befestigte. »Aus dem Weg, hab ich gesagt. Lassen Sie mich

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