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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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lacht, weil Sie glauben, Sie könnten ihn überlisten, ihr mickrigen Bobbys mit euren Gummiknüppeln und albernen Helmen. Er ist so viel mehr, als er zu sein scheint.«
    »Was bedeutet das?«
    »Ich weiß es nicht.« Er rollte sein Bettzeug auseinander, breitete es aus und zog seinen Schlafsack zurecht. Seine Miene war hart. »Fragen Sie mich nicht weiter. Vergeuden Sie nicht Ihre Zeit. Um Himmels willen, ich bin kein Medium. Ich bin ein Mensch.«
    Caffery nahm einen Schluck Cider und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Er beobachtete das Gesicht des Walking Man, während der sein Bett bereit machte. Cleverer als alle andern. Er dachte über die Worte des Entführers nach. Es hat jetzt angefangen, nicht wahr, und es wird nicht einfach plötzlich wieder aufhören. Oder? Caffery wusste, was das bedeutete: Er würde es wieder tun, sich willkürlich erneut ein Auto aussuchen. Irgendein Auto, irgendeinen Fahrer. Wichtig wäre nur das Kind auf dem Rücksitz. Ein Mädchen, jünger als zwölf. Er würde sie kidnappen. Und Caffery hatte nur einen Anhaltspunkt: Es würde aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Radius von zehn Meilen um Midsomer Norton passieren.
    Caffery starrte lange in die Dunkelheit am Rand des Feuerscheins; dann nahm er eine Schaumstoffmatte und rollte sie auseinander, zog den Schlafsack heran und kroch hinein. Der Walking Man tat das Gleiche. Caffery sah ihn eine Weile an. Er wusste, der Mann würde heute Abend nichts mehr sagen; das Gespräch war zu Ende. Jeder lag in seinem Schlafsack, starrte in den Himmel hinauf, dachte an seine eigene Welt und daran, was das Leben ihm in den nächsten vierundzwanzig Stunden bringen würde.
    Der Walking Man schlief als Erster. Caffery blieb noch ein paar Stunden wach und lauschte in die Nacht hinein. Er wünschte, der Walking Man möge unrecht haben und Hellsichtigkeit und übernatürliche Kräfte würden doch existieren, und man könnte allein den Geräuschen da draußen entnehmen, was aus Martha Bradley geworden war.

12
    A ls Caffery steif und durchgefroren aufwachte, war der Walking Man verschwunden. Er hatte nur eine schwarze Feuerstelle und einen Teller mit zwei Specksandwiches neben Cafferys Schlafsack hinterlassen. Es war dunstig und kalt. Ein arktischer Hauch hing in der Luft. Caffery wartete ein paar Minuten, bis er einen klaren Kopf hatte, und stand dann auf. Er aß die Sandwiches im Stehen mitten auf dem Feld; nachdenklich kauend, betrachtete er das Fleckchen Erde, wo der Walking Man die Zwiebel eingepflanzt hatte. Er wischte den Teller mit Gras sauber, rollte Schlafsack und Isomatte zusammen, klemmte alles unter den Arm und ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen. Die von Hecken durchzogenen Felder, um diese Jahreszeit grau und trist, erstreckten sich bis weit in die Ferne. Er wusste zwar wenig über die Wanderungen des Walking Man, aber doch so viel, dass sich immer ein geschützter Ort in der Nähe befand, an dem er ein paar Dinge aufbewahren konnte, die er brauchte, wenn er das nächste Mal vorbeikam. Manchmal war dieser Ort allerdings eine halbe Meile vom Lagerplatz entfernt.
    Den Hinweis fand er im grau und steif gefrorenen Gras. Die Fußspuren des Walking Man waren gut sichtbar und führten eindeutig vom Lagerplatz weg. Caffery lächelte in sich hinein. Wenn er diesen Fußspuren nicht folgen sollte, wären sie unsichtbar. Der Walking Man überließ nichts dem Zufall. Caffery machte sich auf den Weg und setzte die Füße sorgfältig in die Spuren; überrascht stellte er fest, dass sie genau hineinpassten.
    Nach einer Drittelmeile endete die Spur am anderen Ende des Nachbarfeldes, und dort, unauffällig unter der Hecke versteckt, fand er unter einer Plastikplane die übliche Sammlung von Vorräten: Lebensmittelkonserven, einen Kochtopf, einen Krug Cider. Caffery legte Schlafsack, Matte und Teller dazu und stopfte die Plastikplane wieder fest. Als er sich aufrichtete und gehen wollte, fiel ihm etwas auf. Ungefähr einen Schritt weiter unter der Weißdornhecke entdeckte er ein kleines Fleckchen aufgewühlter Erde. Er ging in die Hocke und wischte die Krumen behutsam beiseite, und zum Vorschein kam die leicht zerdrückte, zarte Spitze einer Krokuszwiebel.
    Jeder Mensch auf der Welt hatte Gewohnheiten – dachte Caffery, als er ein wenig später auf den Parkplatz eines Pubs, sechs Meilen weit entfernt in Gloucestershire fuhr –, vom Zwangsneurotiker, der jede Erbse zählte, die er aß, jeden Lichtschalter, den er berührte, bis

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