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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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mehr als ihren Bruder Thom. Hundertmal mehr als Thom. Zu hören, wie Wellard die Wahrheit aussprach, war schwer.
    »Okay.« Sie kniete sich auf den Sitz und legte die Hände auf die Lehne. »Ihr habt recht. Ich war nicht in Bestform. Aber ihr « – sie deutete mit dem Finger auf ihre Leute –, » ihr habt es noch nicht verloren. Es ist immer noch da.«
    »Hä?«
    »Okay. Erinnert euch an das, was der Fahndungsberater gesagt hat. Was war in den Reifenprofilen?«
    Einer zuckte die Achseln. »Holzspäne. Titanium und Edelstahlspäne. Klang nach einer Fabrik.«
    »Ja.« Sie nickte aufmunternd. »Und was ist mit dem Titanium? Klingelt’s da irgendwo?«
    Alle starrten sie an und kapierten nichts.
    »Ach, jetzt kommt schon«, sagte sie ungeduldig. »Erinnert euch, vor vier, fünf Jahren? Ihr wart alle schon bei der Einheit, und ihr könnt es nicht vergessen haben. Ein Wassertank? Ein eiskalter Tag. Ein Messermord. Sie sind hineingetaucht, Wellard, und ich war oben. Da gab’s einen Hund, der dauernd aus dem Gebüsch kam und mein Bein rammeln wollte. Das fanden Sie urkomisch. Wissen Sie das noch?«
    »Drüben bei dem Gut Bathurst?« Wellard musterte sie stirnrunzelnd. »Der Typ, der das Messer durch die Luke geworfen hatte? Wir haben es in zehn Minuten gefunden.«
    »Ja. Und?«
    Er zuckte die Achseln.
    Sie blickte erwartungsvoll von einem zum andern. »Allmächtiger. Ich muss euch wirklich mit der Nase daraufstoßen. Erinnert ihr euch an die Anlage – eine stillgelegte Fabrik? Sie ist nicht auf dieser Fahndungskarte verzeichnet, weil sie stillgelegt ist. Aber erinnert ihr euch, was da hergestellt wurde, als sie noch in Betrieb war?«
    »Militärkram«, antwortete einer ganz hinten im Wagen. »Teile für Challenger-Panzer und so.«
    »Seht ihr? Die grauen Zellen werden wach.«
    »Ich vermute, ein paar dieser Teile bestanden aus Titanium? Und aus Edelstahl?«
    »Darauf verwette ich meinen Kopf. Und erinnert ihr euch zufällig auch noch, wo wir durchfahren mussten, um zu diesem verdammten Wassertank zu kommen?«
    »Heilandssack«, sagte Wellard leise, und man sah, dass ihm langsam ein Licht aufging. »Durch ein Sägewerk. Und das liegt in dieser Richtung – in die Sie jetzt fahren.«
    »Na also!« Sie startete den Motor und warf den Männern im Rückspiegel einen Blick zu. »Ich sag doch, ihr habt’s noch nicht verloren.«

14
    C affery stand allein auf einem schmalen Fußpfad, der durch einen Kiefernwald führte. Die Luft duftete, und alle Geräusche klangen gedämpft durch die Bäume. Hundert Meter rechts von ihm lag eine stillgelegte Rüstungsfabrik, links ein Holzplatz, umgeben von verwitterten, mit Brettern verkleideten Schuppen. Haufen von Sägemehl, das vom Regen dunkel verfärbt war, lagen unter einem großen, verrosteten Trichter.
    Er atmete langsam und leise, hielt die Hände seitwärts ausgebreitet und richtete seinen Blick ins Leere. Er versuchte, etwas Flüchtiges zu fassen, eine Art Atmosphäre. Als könnten die Bäume ihre Erinnerungen preisgeben. Es war zwei Uhr nachmittags. Vier Stunden zuvor hatte Sergeant Marleys Team die Anweisungen des Fahndungsberaters missachtet und war hier hergefahren. Sie hatten nicht lange suchen müssen, nur dreißig Minuten, und dann hatte einer von ihnen eine bemerkenswert klare Reifenspur entdeckt, die eindeutig von dem Yaris stammte. Der Entführer war hier gewesen, und etwas Wichtiges war die Nacht zuvor passiert.
    Hinter Caffery, ein Stück weiter oben am Weg, wimmelte es von Spurensicherern, Suchtrupps und Hundeführern. Man hatte den Bereich im Radius von fünfzig Metern um die deutlichsten Reifenspuren mit Flatterband abgesteckt, und die Teams hatten überall Fußspuren gefunden. Große, tiefe Spuren von Männersportschuhen. Es wäre einfach gewesen, Abgüsse für die Analyse herzustellen, aber der Entführer hatte sie sorgfältig verwischt, indem er mit einem langen, spitzen Gegenstand im Schlamm hin und her gekratzt hatte. Spuren von Kinderschuhen waren nirgends zu sehen, aber ein paar der Männerschuhabdrücke, erklärte die Spurensicherung, waren auffallend tief. Vielleicht hatte der Entführer Martha im Auto wehrlos gemacht oder umgebracht und sie dann weggetragen und irgendwo im Wald versteckt. Das Problem war, wenn er sie getragen hatte, würde ihr Geruch nicht am Boden haften. Das Wetter war sowieso katastrophal für die Hunde: Jede Geruchsspur, die es gegeben haben mochte, war verweht und weggewaschen. Die Hunde waren aufgeregt sabbernd eingetroffen,

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