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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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mich nicht zu einem Seher.«
    »Sie wissen Dinge, die ich nicht weiß.«
    »Na und? Was erwarten Sie von sich? Dass Sie ein Cop sind, macht Sie nicht zu einem Übermenschen. Egal, was Sie glauben.«
    Der Walking Man kam zum Feuer zurück und legte noch ein wenig Holz nach. Seine Wandersocken waren an einem Stock, der neben dem Feuer im Boden steckte, zum Trocknen aufgehängt. Es waren gute Socken, die teuersten, die man kaufen konnte. Aus Alpaka. Der Walking Man konnte sich so etwas leisten. Er hatte Millionen auf irgendeiner Bank.
    »Pädophile.« Caffery nippte an seinem Cider. Das Zeug brannte in der Kehle und lag kalt im Magen, aber er wusste, er würde den ganzen Krug und noch mehr davon trinken, ehe die Nacht zu Ende ginge. »Mein Spezialfach. Entführung durch Fremde. Das Ergebnis ist fast immer das Gleiche: Wenn wir großes Glück haben, wird das Kind fast unmittelbar nach der Tat zurückgebracht. Wenn nicht, wird es innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden ermordet.« Martha war seit fast dreißig Stunden verschwunden. Er ließ den Krug sinken. »Oder, wenn ich es mir recht überlege, wir haben gerade dann Glück.«
    »Wenn das Kind innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden ermordet wird, haben Sie Glück? Was ist das? Polizeilogik?«
    »Ich meine, es ist vielleicht besser, als wenn sie noch länger am Leben bliebe.«
    Der Walking Man antwortete nicht. Die beiden Männer schwiegen lange und hingen ihren Gedanken nach. Caffery hob den Kopf und betrachtete die Wolken, die sich über den Mond wälzten. Wie einsam und majestätisch sie wirkten. Er stellte sich ein Kind mit goldenen Haaren vor, das dort oben zwischen ihnen zu seinen Eltern herabschaute. Im Wald rief ein Fuchsjunges. Und Martha befand sich irgendwo da draußen in der endlosen Weite der Nacht. Caffery schob die Hand in seine Jackentasche, zog die Fotokopie des Briefs heraus, der in ihre Unterwäsche eingerollt gewesen war, und reichte sie dem Walking Man. Der grunzte, beugte sich vor und nahm das Blatt, faltete es auseinander und fing an zu lesen. Er hielt es schräg vor sich, damit der Schein des Feuers es beleuchten konnte. Caffery beobachtete sein Gesicht. Ein Handschriftenxperte war bereits zu dem Schluss gekommen, dass der Entführer sich bemüht hatte, seine Schrift zu verstellen. Während die Spurensicherung den Wagen der Bradleys unter die Lupe nahm, hatte Caffery lange in seinem Büro gesessen und über diesem Brief gebrütet. Inzwischen kannte er ihn auswendig.
    Liebe Mummy von Martha,
    bestimmt hätte Martha gewollt, dass ich mich bei dir melde, auch wenn sie das nicht gesagt hat oder so. Sie ist im Moment nicht sehr GESPRÄCHIG . Sie hat mir erzählt, sie liebt BALLETT TANZEN und HUNDE , aber du und ich wissen, dass Mädchen in diesem Alter die ganze Zeit lügen. SIE LÜGEN ALLE . Weißt du, ich glaube, sie liebt ganz andere Sachen. Nicht dass sie das dir gegenüber jetzt zugeben würde, natürlich nicht. Aber sie hat GELIEBT , was ich gestern Abend mit ihr gemacht habe. Ich wünschte, du hättest ihr Gesicht sehen können.
    Aber dann dreht sie sich um und lügt mich an. Du solltest ihr Gesicht sehen, wenn sie das macht. Hässlich beschreibt es nicht annähernd. Zum Glück habe ich in dieser Abteilung alles NEU GEORDNET . Jetzt sieht sie viel besser aus. Aber bitte, Marthas Mummy, bitte, könntest du so lieb sein und mir einen freundlichen Gefallen tun???? Bitte, bitte? Könntest du den Fotzen von der Polizei sagen, dass sie mich nicht mehr stoppen können und sich deshalb keine Mühe geben sollen? Es hat jetzt angefangen, nicht wahr, und es wird nicht einfach plötzlich wieder aufhören. Oder?
    Oder?
    Der Walking Man hatte zu Ende gelesen. Er blickte auf.
    »Und?«
    »Nehmen Sie mir das ab.« Er streckte Caffery den Brief entgegen. Seine Augen hatten sich verändert, sie waren blutunterlaufen, und sein Blick wirkte tot.
    Caffery steckte den Brief wieder ein. »Und?«, wiederholte er.
    »Wenn ich wirklich ein Seher oder Wahrsager wäre, dann wäre dies der Augenblick, Ihnen zu sagen, wo dieses Kind sich befindet. Ich würde es Ihnen jetzt sofort sagen, und ich würde Sie bitten, alles zu tun, was in Ihrer Macht steht, um zu ihm zu gelangen, ganz gleich, welchen Preis Sie in Ihrem Leben oder Ihrem Beruf dafür zahlen müssen. Denn dieser Mensch« – er stieß mit dem Finger nach der Tasche, in der der Brief steckte – »ist cleverer als alle andern, mit denen Sie zu mir gekommen sind.«
    »Cleverer?«
    »Ja. Er lacht Sie aus. Er

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