Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
»Freundschaft« zu einer der Frauen entwickelt hatte. Anfangs war es nur ein vager Verdacht gewesen, das bloße Gefühl, dass etwas nicht stimmte – er hatte distanziert gewirkt, war nicht ins Bett gegangen, wenn sie es tat. Lange, unerklärte Abwesenheiten, wenn er mit dem Auto unterwegs war und nachher behauptete, er sei »nur umhergefahren und habe nachgedacht«. Es gab Streitereien um unwichtige Dinge – wie sie sich am Telefon meldete, wie sie beim Essen das Gemüse auf den Teller legte, ja, welchen Senf sie nahm. Senf. Ging es noch alberner? Lautes Gebrüll im Stehen, er wolle körnigen Senf, denn englischer Senf sei »so provinziell«. »Herrgott, Janice, begreifst du das nicht?«
    Aber eigentlich war es die beiläufige Erwähnung von »Clare«, was ihr die Augen öffnete. Clare sagt dies, Clare sagt jenes. Als Janice ihn fragte, sah er sie an, als wüsste er nicht, wovon sie redete.
    »Clare«, wiederholte sie. »Du hast ihren Namen jetzt ungefähr zwanzigmal erwähnt. Clare?«
    »Ach, Clare . Aus der Gruppe, meinst du. Was ist mit ihr?«
    Janice drang nicht weiter in ihn, aber als sie am Abend heimlich sein Telefon aus der Tasche zog, nachdem er vor dem Fernseher eingeschlafen war, fand sie darauf zwei Anrufe von »Clare P«. Und jetzt war es so weit, dass sie es wissen wollte. Es würde einfach sein. Sie brauchte ihn nur einmal mit der Frau zu sehen. An seinem Verhalten würde sie alles sofort erkennen.
    Das Licht hinter den Fenstern erlosch, und auf dem Flur ging ein anderes an. Die Sitzung war zu Ende. Ihr Herz begann zu hämmern. Jeden Moment würde jemand zur Tür herauskommen. In ihrer Tasche klingelte das Handy. Scheiße – sie hatte vergessen, es abzuschalten. Sie zog es heraus und wollte es abstellen, aber als sie erkannte, wer da anrief, zuckte ihr Finger von der roten Taste zurück. Sie starrte das Telefon an und wusste nicht, was sie tun sollte.
    Es war Cory. Cory rief sie an. Er war nur zehn Schritte weit entfernt im Gebäude, und wenn er die Tür öffnete, würde er ihr Telefon klingeln hören. Ihr Finger wanderte noch einmal zur roten Taste, zögerte und tippte dann auf die grüne.
    »Hallo«, sagte sie munter. Sie drückte sich um die Ecke, stand mit dem Gesicht zur Wand und hielt einen Finger ins Ohr. »Wie war’s?«
    »Ach, du weißt schon.« Cory klang müde und schlecht gelaunt. »Immer das Gleiche. Wo bist du?«
    »Wo ich bin? Ich bin … ich bin zu Hause. Warum?«
    »Zu Hause? Ich hab dich gerade übers Festnetz angerufen. Hast du nichts gehört?«
    »Nein – ich meine, ich war in der Küche. Das Abendessen vorbereiten.«
    Nach einer kurzen Pause fragte er: »Soll ich dich jetzt noch mal anrufen? Damit’s nicht so teuer wird?«
    »Nein! Nein – das ist … Nicht, Cory. Du weckst Emily.«
    »Schläft sie? Es ist noch nicht mal sechs.«
    »Ja, aber du weißt doch … morgen die Schule –« Sie brach ab. Emily ging zur Vorschule, und sie war alt genug, um Cory zu erzählen, dass sie nicht zu Hause gewesen war. Sie verstrickte sich jetzt immer tiefer in Lügengeschichten. Es würde großen Ärger geben. Sie schluckte. »Kommst du jetzt nach Hause?«
    Eine lange Pause folgte. Dann sagte er: »Janice? Bist du wirklich zu Hause? Es klingt, als wärst du irgendwo im Freien.«
    »Natürlich bin ich zu Hause. Natürlich.« Ihr Puls raste, und das Adrenalin ließ ihre Fingerspitzen kribbeln. »Ich muss Schluss machen, Cory. Sie weint. Ich muss Schluss machen.
    Sie drückte auf die rote Taste und sackte keuchend gegen die Wand. Sie zitterte. Es gab zu viel, worüber sie jetzt nachdenken musste. Sie musste eine Geschichte erfinden, dass ihr und Emily plötzlich eingefallen war, dass irgendetwas fehlte – Milch oder Kaffee oder so etwas. Dass sie losgegangen waren, um es zu besorgen. Und sie würde es auch kaufen müssen, um einen Beweis zu haben. Oder sie könnte sagen, Emily habe nicht aufgehört zu weinen, und da habe sie sie in den Wagen gepackt und sei mit ihr eine Zeit lang umhergefahren, damit sie sich beruhigte. Das hatten sie schon früher getan, wenn sie als Baby Koliken bekam. Sie musste sofort nach Hause fahren und alles so richten, dass es zu den Lügen passte, die sie erzählen würde. Aber sie war eigens den ganzen Weg hierhergekommen, um Claire zu sehen, und konnte jetzt nicht einfach verschwinden.
    Sie nahm sich zusammen und schob den Kopf erneut um die Ecke. Und riss ihn sofort wieder zurück. Die Vordertür war aufgegangen, und da standen Leute. Das Licht flutete

Weitere Kostenlose Bücher