Verderbnis
ausdruckslos auf die Zeitung. »Warum mussten sie das schreiben?«, wiederholte sie.
»Sie schreiben das, was ihnen hilft, die Zeitung zu verkaufen«, erklärte Caffery. »Im Moment können wir nicht viel machen. Wir haben aber den Rest der Aufnahmen aus dem Geschäft bekommen und uns angesehen.«
»Warum? Warum mussten Sie das tun?«
Er schob ein Stück Pastete auf seinem Löffel zurecht. Er tat es sorgfältig und ließ sich Zeit dabei. »Rose, hören Sie. Ich weiß, Sie haben das alles schon einmal hinter sich gebracht. Ich weiß, es ist schmerzhaft, aber ich bitte Sie, noch einmal über diesen Vormittag nachzudenken. Ich möchte speziell über die Geschäfte mit Ihnen sprechen, in denen Sie und Martha gewesen sind.«
»Über die Geschäfte, in denen wir gewesen sind? Warum?«
»Sie haben gesagt, mit dem Lebensmitteleinkauf hätten Sie bis zum Schluss gewartet.«
»Ja.«
»Ich glaube, Sie sagten, Sie haben eine Strickjacke gesucht. War die für Sie oder für Martha?«
»Für mich. Martha wollte Strumpfhosen. Wir waren zuerst bei Roundabout und haben ihr welche gekauft. Sie wollte solche mit Herzen drauf …« Rose stockte. Sie drückte die Finger an die Kehle und hatte Mühe, die Fassung zu behalten. »Mit Herzen«, fuhr sie dann mit dünner Stimme fort. »Mit roten. Und als wir sie hatten, sind wir zu Coco’s gegangen. Da hab ich eine Strickjacke gesehen, die mir gefiel.«
»Haben Sie sie anprobiert?«
»Ob sie sie anprobiert hat?«, unterbrach Jonathan Caffery. »Ist es denn wichtig, ob sie eine Strickjacke anprobiert hat? Es tut mir leid, wenn ich unhöflich klinge, aber was hat das mit alldem zu tun?«
»Ich versuche nur, ein bisschen mehr über den Verlauf des Vormittags herauszubekommen. Haben Sie den Mantel ausgezogen und die Strickjacke anprobiert?«
»Sie versuchen nicht, ›ein bisschen mehr über den Verlauf des Vormittags herauszufinden‹.« Philippa funkelte ihn böse vom Sofa her an. »Das tun Sie überhaupt nicht. Ich weiß, warum Sie danach fragen. Sie glauben, er hat sie beobachtet. Sie glauben, er hat sie schon verfolgt, bevor sie auch nur in der Nähe des Parkhauses waren. Stimmt’s?«
Caffery schob sich ein Stück Pastete in den Mund und kaute. Dabei sah er Philippa direkt ins Gesicht.
»Es stimmt, oder? Ich sehe es Ihnen an. Sie glauben, er hat sie verfolgt.«
»Es ist nur eine von mehreren Fragen bei unseren Ermittlungen. Nach meiner Erfahrung ist Zufall selten wirklich ganz und gar zufällig.«
»Soll das heißen, Sie haben neue Hinweise?«, fragte Jonathan. »Heißt das, er hat sich noch einmal bei Ihnen gemeldet?«
In der Pastete in seinem Mund war etwas Kleines, Hartes. Caffery antwortete nicht, sondern beförderte den Gegenstand nach vorn und schob ihn dann mit der Zunge auf die Papierserviette. Ein Stück Zahn, mit Apfelpastete garniert. Ein abgebrochener Zahn mitten in einem Fall wie diesem, wenn er eigentlich überhaupt keine Zeit hatte, zum Zahnarzt zu gehen.
»Mr. Caffery? Hat er sich noch einmal bei Ihnen gemeldet?«
»Es ist so, wie ich gesagt habe. Ich versuche, ein bisschen mehr über den Verlauf …«
Er sprach nicht weiter, sondern starrte auf die Serviette. Das war kein Stück von einem Zahn, das war ein ganzer Zahn. Aber nicht von ihm. Er fuhr mit der Zunge im Mund herum. Da gab es keine Lücke. Und der Zahn war auch zu klein. Viel zu klein für einen Erwachsenen.
»Was ist das?« Jonathan starrte die Serviette in Cafferys Hand an. »Was haben Sie da?«
»Keine Ahnung.« Verwirrt säuberte Caffery den Zahn mit der Serviette und betrachtete ihn eingehend. Es war ein kleiner Milchzahn.
»Der ist von Martha.« Rose saß kerzengerade. Sie sah kalkweiß aus, und ihre Hände umklammerten die Tischkante. »Ja, das ist er.« Ihre Lippen waren fahl. »Sieh doch, Jonathan, das ist ihr Babyzahn. Den hatte sie immer in ihrem Medaillon.«
Philippa sprang auf, kam zum Tisch und beugte sich über das, was Caffery da in der Hand hielt. »Mum? O Gott, Mum, das ist er. Es ist ihr Zahn.«
»Ja, ich bin sicher.«
Sehr, sehr langsam legte Caffery den Zahn auf den Tisch, ungefähr zwanzig Zentimeter von seinem Teller entfernt.
»Wie kommt der in Ihren Mund?« Die Stimme der Familienbetreuerin klang leise und beherrscht.
Caffery schaute auf seinen Teller mit Apfelpastete und Sahne. Die Betreuerin sah auf ihren. Ihre Blicke trafen sich und richteten sich dann auf Jonathan, der mit aschfahlem Gesicht seine eigene Portion anstarrte.
»Von woher stammt diese
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