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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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auf die Straße, und sie hörte Stimmen. Sie zog die Kapuze ihrer Steppjacke über den Kopf, schob sie tief ins Gesicht und schaute vorsichtig noch einmal um die Ecke. Eine Frau kam heraus – eine ältere Frau mit streng geschnittenen weißen Haaren und einem langen karierten Mantel –, der eine zweite in einem braunen Mantel mit einem Gürtel folgte, Janice konnte sich nicht vorstellen, dass eine von ihnen Clare sein sollte. Sie waren zu alt, zu maskulin.
    Aber dann öffnete die Tür sich ein Stück weiter, und Cory trat heraus und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu. Er ging halb seitwärts, zum Gebäude gewandt, und sagte etwas zu einer großen, dünnen Frau mit sehr hellen, glatten Haaren. Sie trug einen langen Ledermantel und hochhackige Stiefel. Sie hatte eine scharf geschnittene, leicht gebogene Nase und lachte über das, was er sagte. Auf der Treppe vor der Klinik hielt sie inne und schlang sich ein Tuch um den Hals. Cory blieb unten auf dem Gehweg stehen und schaute zu ihr hinauf. Noch ein oder zwei Leute kamen aus dem Gebäude und gingen um sie herum. Die Frau sagte etwas, und Cory zuckte die Achseln. Rieb sich die Nase. Dann schaute er nachdenklich die Straße entlang.
    »Was ist denn?« Die Stimme der Frau klang glockenhell in der kalten Luft. »Was ist los?«
    Cory schüttelte den Kopf. »Nichts.« Noch einmal ließ er seinen Blick die Straße hinauf- und hinunterwandern, als müsste er sich etwas überlegen. Dann stieg er zwei Stufen empor, legte der Frau eine Hand auf den Ellbogen, senkte den Kopf und flüsterte ihr etwas zu.
    Stirnrunzelnd schaute sie hoch und sah ihn an. Er sagte noch etwas. Sie hob die Hand und spreizte vier Finger. Im nächsten Moment verwandelte sie die Geste in ein kleines Winken. »Von mir aus«, meinte sie lächelnd. »Von mir aus, Cory. Bis nächste Woche.«
    Cory ging davon, aber er blickte immer noch wachsam über die Schulter. Er schob die Hand in die Tasche, zog den Autoschlüssel heraus und entfernte sich zielstrebig von der Klinik. Panik erfasste Janice. Sie wühlte ihre Schlüssel aus der Tasche und trabte, so schnell sie konnte, zurück zu ihrem Audi.
    Als sie näher kam, sah sie, dass etwas nicht stimmte. Ihr Herz pochte dumpf. Der Audi parkte ungefähr zwanzig Schritte vor ihr unter einer Straßenlaterne. Und Emily war nicht drin. »Emily?«, murmelte Janice. » Emily ?«
    Sie begann zu rennen. Jetzt war es ihr egal, ob jemand sie sah. Ihr Tuch löste sich vom Hals und flatterte davon. Fast hätte sie den Schlüssel fallen lassen. Sie erreichte den Wagen, schlug mit beiden Händen an das Seitenfenster und drückte das Gesicht an die Scheibe.
    Emily kauerte vor dem Rücksitz im Fußraum. Überrascht erkannte sie das entsetzte Gesicht ihrer Mutter. Sie hatte sich losgeschnallt, war hinuntergekrabbelt und spielte mit Jasper. Er saß eine Armlänge entfernt vor ihr und war ihr zugewandt, als unterhielte er sich mit ihr.
    Janice sank gegen den Wagen und presste eine Hand ans Herz.
    »Mummy!«, krähte Emily zum Fenster hinauf. Sie hüpfte auf dem Rücksitz herum. »Mummy, rate mal, was passiert ist!«
    Janice atmete tief durch, ging um den Wagen herum nach vorn, stieg ein und drehte sich zu ihrer kleinen Tochter um. »Was denn? Was ist passiert, mein Schatz?«
    »Jasper hat Aa gemacht. In die Hose. Hast du aus dem Laden ein paar Windeln für ihn mitgebracht?«
    »Der Laden war zu, Schatz.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Hab keine Windeln. Kein Laden, keine Windeln – tut mir leid. Schnall dich an, Herzchen. Wir fahren nach Hause.«

17
    C affery war froh, dass ihm von Jonathan kein Wein angeboten worden war. Hätte er an Alkohol auch nur geschnuppert, wäre die gesamte Logistik nach dem Auftauchen des Kinderzahns in seinem Mund durcheinandergeraten …
    Die Nachbarin, Mrs. Fosse, eine neugierige, vogelähnliche Frau in Pantoffeln und zwei Strickpullovern übereinander, hatte nichts zu verbergen. Davon war er überzeugt, nachdem er zwanzig Minuten lang mit ihr gesprochen hatte. Sie hatte die Apfelpastete gebacken und um ein Uhr zusammen mit den anderen Sachen vor die Tür gestellt. Sie hatte nicht anklopfen wollen; es war ihr peinlich, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, aber sie hoffte, dass ihre kleinen Geschenke ihre Gefühle angemessen zum Ausdruck brachten. Also war der Entführer irgendwann in den folgenden zwei Stunden in den Garten gekommen und hatte den Zahn in die Pastete gedrückt. Wahrscheinlich durch eins der beiden Dampflöcher, die

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