Verderbnis
weichherzig genug ist, sich für ein, zwei Tage als Pflegefamilie zur Verfügung zu stellen. Bis alles vorbei ist.«
Caffery seufzte. »Mein Gott!« Er zog seinen Autoschlüssel aus der Tasche. »Hier.« Er warf ihn dem Hundeführer zu. »Setzen Sie ihn in mein Auto.« Der Collie sah ihn an und legte den Kopf schräg. Caffery seufzte noch einmal. »Ja, okay – jetzt mach kein Theater deshalb.«
Er ging mit Philippa und Sophie in die Diele, wo ihre Eltern und die Familienbetreuerin zwischen hastig gepackten Koffern warteten. Am Fenster blieb er stehen und spähte durch einen Spalt zwischen den Vorhängen hinaus. Er hatte im Wagen gesagt, sie sollten wegen der Reporter nicht mit Blaulicht und Sirene aufkreuzen. »So«, sagte er, »Sie wissen Bescheid. Unsere Presseabteilung möchte nicht, dass Sie Ihre Gesichter verhüllen, wenn Sie das Haus verlassen. Die Blitzlichter werden losgehen, aber die ignorieren Sie einfach. Lassen Sie sich nicht provozieren. Bringen Sie die Sache so schnell und ruhig wie möglich hinter sich. Tun Sie so, als wäre es eine Feuerwehrübung. Verfallen Sie nicht in Panik, aber sehen Sie zu, dass Sie in Bewegung bleiben, okay?«
Die Familie nickte. Caffery sah aus dem Fenster. Noch immer keine Streifenwagen. Er wollte sein Telefon aus der Tasche ziehen, als die Küchentür aufging und einer der Spurensicherungstechniker, die den Garten, den Korb und den Pastetenteller untersucht hatten, in die Diele kam.
»Was ist los?« Caffery wandte sich vom Fenster ab. »Was gibt’s?«
Der Mann – fast noch ein Teenager mit Pickel am Kinn – warf Rose Bradley einen unsicheren Blick zu. »Mrs. Bradley?«
Rose wich an die Wand zurück und klemmte die Hände unter die Achseln.
»Was ist denn?«, fragte Caffery.
»Verzeihung, Sir. Es ist wegen des Zahns, den Sie untersucht haben wollten.«
»Den brauchen Sie nicht.« In Roses Augen standen die Tränen. »Den brauchen Sie nicht.«
»Doch, den brauchen wir, Rose«, sagte die Familienbetreuerin sanft. »Wirklich. Wir brauchen ihn.«
»Nein. Sie können mir glauben. Es ist ihrer. Es ist der erste Zahn, den sie verloren hat, und sie wollte ihn niemals hergeben. Wir mussten ihn für sie in ein Medaillon legen. Ich schwöre, ich würde ihn überall wiedererkennen.«
Draußen rollten die Polizeiwagen in die Einfahrt, Caffery seufzte. Ein tolles Timing.
»Rose, bitte geben Sie dem Mann den Zahn.« Er warf einen Blick aus dem Fenster. Es war zu spät, die da draußen zu überrumpeln. Sie würden die ganze Übung wiederholen müssen. »Wir können Martha nur helfen, wenn sie ihn hergeben.«
» Nein ! Das tue ich nicht. Sie haben mein Wort, es ist ihr Zahn.« Die Tränen rollten über ihre Wangen. Sie versuchte sie an der Schulter abzuwischen. »Es ist ihr Zahn. Ich schwöre Ihnen, er ist es.«
»Aber das können wir nicht wissen. Er könnte von irgendjemand anderem stammen. Jemand könnte sich einen Jux machen. Alles ist möglich.«
»Wenn Sie denken, es ist ein Jux, warum bringen Sie uns dann weg? Sie glauben mir doch. Warum muss ich ihn dann hergeben?«
»Herrgott noch mal«, zischte er ungeduldig. Das ganze Unternehmen brach auseinander. »Ich musste Ihrer Tochter sagen, sie soll sich wie eine Erwachsene benehmen, und jetzt muss ich ihrer Mutter das Gleiche sagen.«
»Das war jetzt aber nicht nötig«, meinte die Familienbetreuerin.
»Herrgott!« Caffery fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Die beiden Wagen draußen hatten angehalten und warteten mit laufendem Motor. »Aber – bitte , Rose. Bitte geben Sie dem netten Mann den Zahn.«
»Mum.« Philippa trat hinter ihre Mutter, legte ihr die Hände auf die Schultern und fixierte Caffery. In ihrem Blick lag kein Respekt; er sagte lediglich, dass sie und ihre Mutter zusammen in dieser Sache steckten und niemand, wirklich niemand , verstehen konnte, was das alles für sie bedeutete. »Mum, tu, was er sagt. Ich glaube nicht, dass er aufgibt.«
Rose schwieg. Dann vergrub sie das Gesicht am Hals ihrer älteren Tochter. Ein lautloses Schluchzen schüttelte ihren Körper. Ein paar Augenblicke später zog sie die rechte Hand unter der Achsel hervor und öffnete sie langsam. Der Zahn lag auf der Handfläche. Mit einem kurzen Blick zu Caffery trat der Kriminaltechniker einen Schritt vor und nahm ihn behutsam herunter.
»Gut.« Caffery spürte, wie der Schweiß unter seinem Haaransatz langsam in den Kragen sickerte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie angespannt er war. »Können wir jetzt alle
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