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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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es aber nicht. Sie hatte einen Kloß im Hals. »Und wieso haben Sie das kurze Ende der Wurst gekriegt?« Sie lächelte matt. »Wieso hat man Sie geschickt, um sich meinem Zorn auszusetzen?«
    »Da gab’s mehrere Gründe. Ich glaube, entscheidend war, dass mein Inspector mich für ein Arschloch hält.«
    »Sind Sie eins?«
    »Nicht so, wie er denkt.«
    Sie lächelte. »Darf ich Sie etwas fragen? Etwas wirklich Ungehöriges?«
    Er lachte leise. »Na ja, ich bin ein Mann. Männer sind nicht immer der gleichen Meinung wie Frauen, was Ungehörigkeiten angeht.«
    Ihr Lächeln wurde breiter. Plötzlich war ihr zum Lachen zumute. Ja, Mr. Prody, dachte sie. Obwohl das alles verdammt schrecklich gewesen ist, kann ich doch eines ganz deutlich sehen: Sie sind ein Mann, und zwar ein netter. Stark und auch irgendwie gut aussehend. Cory, mein Ehemann, kommt mir unterdessen fremder vor als Sie in diesem Moment.
    »Was ist?«, fragte Prody. »Bin ich in ein Fettnäpfchen getreten?«
    »Überhaupt nicht. Ich wollte Sie fragen … wenn ich zu Mr. Caffery ginge und ihm sagte, ich hätte wirklich Angst – Angst vor meinem eigenen Schatten –, würde er Sie dann ein paar Stunden hierbleiben lassen, bei mir und Emily und Nick und Mum? Ich weiß, das wäre langweilig für Sie – aber es wäre alles so viel leichter. Sie brauchen nicht mal mit uns zu sprechen. Sehen Sie fern, telefonieren Sie, lesen Sie Zeitung. Was Sie wollen. Es wäre einfach nett, jemanden dazuhaben.«
    »Warum, glauben Sie, bin ich hier?«
    »Oh. Heißt das ja?«
    »Wie hört es sich an?«
    »Es hört sich an wie ja.«

41
    C affery hatte Tabakgeschmack im Mund. Während der schmächtige kleine Peter Moon seinem Sohn beim Anziehen geholfen und ihn gestützt hatte, als er durch den Korridor ins Wohnzimmer schlurfte, war Caffery zu seinem Wagen hinausgegangen, hatte sich an das Fenster neben Myrtle gestellt und sich die erste Zigarette seit Tagen gedreht. Seine Finger zitterten. Der Regen weichte das Papier auf, aber er zündete sie trotzdem an und wölbte dabei die Hand um die Feuerzeugflamme. Er blies den Rauch in einem dünnen blauen Strahl in die Höhe. Myrtle sah ihn unverwandt an, aber Caffery ignorierte sie. Er wusste nicht, welchen Trick er von dem Entführer erwartet hatte, aber das hier ganz sicher nicht.
    Der Tabak half. Als er wieder ins Wohnzimmer kam, fühlte er sich aufgeputscht und angespannt, aber wenigstens zitterte er nicht mehr. Peter Moon hatte Tee gemacht, stark und mit wenig Milch. Die Kanne stand auf dem verschrammten kleinen Tisch, dessen Furnier sich löste, daneben eine Platte mit einem sorgfältig aufgeschnittenen Battenbergkuchen, wie Caffery ihn seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Das rosa-gelbe Schachbrettmuster im Biskuit ließ ihn an seine Mutter und an Kirchenlieder im Nachmittagsfernsehen denken, nicht an eine schäbige kleine Sozialwohnung wie die hier. Neben dem Kuchen lag Moons Ausweisfoto aus der Personalabteilung. Es zeigte ihn mit feistem Kinn und dunklem Haar – übergewichtig, aber keinesfalls so wie der Richard Moon, der da keuchend auf dem Sofa saß, geschäftig umsorgt von seinem Vater, der ihm Kissen in den Rücken stopfte, die Beine hochlegte und ihm einen Becher Tee in die geschwollenen Hände drückte.
    Turner hatte sich mit der Arbeitsagentur, die der Polizei Hilfskräfte vermittelte, in Verbindung gesetzt, und der Personalmanager, der Moons Führungszeugnis überprüft, das Vorstellungsgespräch mit ihm geführt und ihn eingestellt hatte, war jetzt hier: ein Asiate mittleren Alters mit grauen Schläfen, der einen Kamelhaarmantel trug. Er sah bedrückt aus. Caffery hätte nicht in seiner Haut stecken mögen.
    »Er hat keine Ähnlichkeit mit dem Mann, den ich eingestellt habe.« Er betrachtete Richard Moon. »Der Mann, den ich eingestellt habe, wog ein Viertel von dem, was er wiegt. Er war gesund und relativ fit.«
    »Wie hat er sich ausgewiesen?«
    »Mit einem Pass und einer Strom- und Wasserrechnung für diese Adresse.« Die Akte, die er mitgebracht hatte, war vollgestopft mit Unterlagen: Fotokopien von sämtlichen Identitätsnachweisen zur Person Richard Moon, die er besaß. »Alles, was für ein Führungszeugnis verlangt wird.«
    Caffery blätterte in den Unterlagen und zog die Fotokopie eines britischen Passes heraus. Das Passfoto zeigte einen ungefähr fünfundzwanzigjährigen Mann mit einem grimmigen, harten Gesicht. Richard F. Moon. Caffery hielt das Foto auf Armeslänge vor sich und verglich es mit dem

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