Verderbnis
und Sie setzen sich zu mir und erzählen mir, was los ist. Denn ich bin nicht blöd; ich weiß, dass sich etwas geändert hat.«
Als der Tee fertig war, gingen sie damit ins vordere Zimmer. Es war fast behaglich mit der modernen Gasheizung aus mattem Edelstahl, einem seegrasgrünen Teppich und sauberen Möbeln. Auf einem Tisch am Fenster stand eine Vase mit Seidenblumen. Kitschig – aber man hatte das Gefühl, jemand habe sich mit diesem Zimmer tatsächlich ein bisschen Mühe gegeben. Es roch etwas muffig, und es war kalt, aber die Heizung würde das bald ändern.
»Und?« Janice nahm das Blätterteiggebäck und die Cath- Kidston-Teekanne vom Tablett und stellte alles auf den Tisch. »Werden Sie es mir jetzt erzählen, oder wollen wir vorher noch ein Tänzchen machen?«
Prody setzte sich. Sein Gesicht war ernst. »Wir wissen, wer es ist.«
Janice erstarrte. Plötzlich hatte sie einen trockenen Mund. »Das ist gut«, meinte sie vorsichtig. »Das ist sehr gut. Heißt das, Sie haben ihn?«
»Ich habe gesagt, wir wissen, wer es ist. Das ist ein sehr bedeutsamer Schritt nach vorn.«
»Aber es ist nicht das, was ich hören will. Nicht das, was ich zu hören gehofft habe.« Ihr Tablett war jetzt leer, und sie goss Tee in die Tassen, reichte ihm einen Teller und legte ein Stück Gebäck auf ihren eigenen. Sie nahm Platz, schaute den Teller an und stellte ihn wieder auf den Tisch. »Und? Wer ist es? Wie sieht er aus?«
Prody griff in die Tasche und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. In der oberen linken Ecke hing das Foto eines Mannes – ein Foto wie aus einem Automaten. »Haben Sie den schon mal gesehen?«
Sie hatte erwartet, dass das Gesicht sie irgendwie schockieren würde, aber nein – er sah ganz normal aus. Ein pummeliger Mann in den Zwanzigern mit sehr kurz geschnittenen Haaren und Pickeln auf beiden Seiten des Mundes. Gerade wollte sie Prody das Blatt zurückgeben, als ihr bewusst wurde, dass da noch mehr stand. Es handelte sich um ein Formular. »Avon and Somerset«, las sie. »Was ist das? So was wie ein Haftbefehl …« Sie sprach nicht weiter, als sie die Worte PERSONALABTEILUNG DER POLIZEI am unteren Rand entdeckte.
»Irgendwann erfahren Sie es sowieso, also kann ich es Ihnen gleich sagen. Er arbeitet bei uns: als Hausmeister.«
Sie legte eine Hand an die Kehle. »Er ist ein … Er arbeitet bei Ihnen?«
»Ja. Als Teilzeitkraft.«
»Hat er deshalb den Sender an unserem Auto anbringen können?«
Prody nickte.
»O Gott. Ich kann nicht … Kennen Sie ihn?«
»Eigentlich nicht. Ich hab ihn schon mal gesehen. Er hat die Wände meines Büros gestrichen.«
»Dann haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ein paarmal.« Er zuckte die Achseln. »Es tut mir leid. Es gibt keine Entschuldigung – ich war ein Trottel, mit den Gedanken woanders.«
»Und wie ist er?«
»Unauffällig. Auf der Straße würde man ihn nicht bemerken.«
»Was glauben Sie, was er mit Martha angestellt hat?«
Prody faltete das Blatt wieder zusammen. Einmal, zweimal, dreimal. Strich die Knickstellen mit dem Daumennagel säuberlich glatt. Steckte es wieder in die Tasche.
»Mr. Prody? Ich habe Sie gefragt, was glauben Sie, was er mit Martha angestellt hat?«
»Können wir das Thema wechseln?«
»Eigentlich nicht.« Die Angst stieg wieder in ihr hoch, die grenzenlose Wut. »Ihr Dezernat hat unverzeihlichen Mist gebaut, und ich hätte dadurch beinahe meine kleine Tochter verloren.« Es war nicht seine Schuld, das wusste sie, aber sie wäre ihm am liebsten an die Gurgel gefahren. Sie zwang sich, die Zähne zusammenzubeißen und den Kopf zu senken. Sie nahm den Teller, schob das Gebäckstück mit der Fingerspitze hin und her und wartete darauf, dass ihre Wut verrauchte.
Prody beugte sich ein wenig vor und versuchte, durch den Vorhang ihrer Haare zu spähen, um ihren Gesichtsausdruck zu erkennen. »Es war schrecklich für Sie, ja?«
Sie hob den Kopf und blickte ihm in die Augen, deren Farbe irgendwo zwischen Braun und Grün lag, mit goldenen Punkten darin. Als sie das Mitgefühl in seinem Blick bemerkte, hätte sie am liebsten geheult. Mit zitternder Hand stellte sie den Teller auf den Tisch. »Äh …« Sie schob die Ärmel hoch und rieb sich die Arme. »Ja, schon. Ich möchte nicht allzu dramatisch klingen, aber es waren die schlimmsten Tage meines Lebens.«
»Wir bringen Sie da durch.«
Sie nickte, nahm den Teller wieder in die Hand, betrachtete das Gebäck, drehte es zur Seite, brach es in der Mitte auseinander, aß
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