Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
den Würfeln auf die Theke.
»Rudolf muss wirklich völlig von der Rolle sein«, stellte Laura fest. »Dass er seinen intimsten Schatz vergisst, einfach unglaublich.«
»Ja, er hat auf mich von Anbeginn einen verstörten Eindruck gemacht, wobei er im Laufe des Gesprächs wieder etwas von seinem überheblichen Selbstbewusstsein zurückerlangt hat. Das war schon sehr merkwürdig. Bei jedem normalen Menschen hätte die Reaktion doch genau umgekehrt sein müssen, hätten sich irgendwelche Schuldgefühle mitteilen müssen. Doch nein, auf Rudolf schienen die Geständnisse eine geradezu stimulierende Wirkung zu haben.«
»Aber trotzdem hat er die Schatulle mit den Würfeln vergessen. So gut drauf kann er also nicht gewesen sein.«
»Das war er auch nicht. Ganz bestimmt nicht. Er hat ja eingangs auch von seinen Problemen erzählt, davon, dass er gerade viel Geld verloren habe, dass er seinen Palazzo habe räumen müssen und dass irgendwie die Steuerfahndung hinter ihm her sei.«
Laura lächelte. »Ich kann nicht verhehlen, dass ich mich über Roberts Pechsträhne ausgesprochen freue. Hoffentlich hält sie an.«
»Ja, ich hätte auch nichts dagegen. Vielleicht gibt’s ja doch so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit. Denn ich fürchte, Rudolf hat Recht, man wird ihm nie etwas nachweisen können. Diese Vorstellung ist ziemlich unerträglich.«
Über der Bar hing ein Fernsehgerät. Gerade lief die Ansage für die kommende Nachrichtensendung. »Buon giorno dagli studi di RAI uno …«
Mark bestellte einen Espresso und sah kurz zum Fernseher.
»Cominciamo con una notizia speciale. …«
»Aua!«, protestierte Laura, als Mark ihren Arm fest umklammerte. Wortlos deutete er auf das Fernsehgerät. Bildfüllend war das Gesicht von Rudolf zu sehen.
Die Gespräche in der Espressobar waren von einem Augenblick auf den anderen verstummt. Alle starrten auf den Bildschirm.
In der nächsten Einstellung sah man, wie Rudolf in Handschellen abgeführt wurde. Der Sprecher berichtete, dass man den mutmaßlichen Serienmörder gefasst habe, der für die Prostituiertenmorde verantwortlich sei. Sein Name sei Rudolf Krobat, ein Deutscher, der in Venedig einen Zweitwohnsitz habe. Der Leiter der Sonderkommission, die auf den spektakulären Fall angesetzt war, gab einem Reporter ein kurzes Interview. Die Indizien seien erdrückend, berichtete er. In Verdacht geraten sei Rudolf Krobat, weil er nachweislich der letzte Freier der ermordeten Prostituierten Antonella gewesen sei. Jetzt habe man im Kofferraum seines Autos auf einem Parkplatz an dem Piazzale Roma eine Schachtel mit roten Samtkordeln gefunden, die hundertprozentig identisch mit jenen waren, die man bei den strangulierten Frauen sichergestellt hatte. Im Handschuhfach habe ein Stilett gelegen, an dem noch das Blut seines letzten Opfers geklebt habe, wie ein sofortiger Laborbefund ergeben habe. Bei der Gelegenheit wurde die Öffentlichkeit erstmals davon in Kenntnis gesetzt, dass alle Frauen tiefe Stiche im Brustbereich aufgewiesen hatten. Zudem habe man in einer Truhe, die gestern von der Guardia di Finanza in Rudolf Krobats Haus beschlagnahmt worden sei, ein Bündel mit Zeitungsausschnitten entdeckt, die allesamt von den Prostituiertenmorden berichteten.
Fassungslos folgte Mark der Übertragung, die ihm von Laura synchron übersetzt wurde. Rudolf sollte der Prostituiertenmörder sein, nach dem seit Wochen intensiv gefahndet wurde? In ihm sträubte sich einiges, das zu glauben. Gewiss, Rudolf war ein Schwein, ein skrupelloser Egoist, der im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging. Und er hatte eine Vorliebe für Nutten, auch das schien zu passen. Aber dass er ein pathologischer Killer war, der zum puren Vergnügen oder aus irgendwelchen Wahnvorstellungen heraus Prostituierte umbrachte, das konnte und wollte Mark nicht glauben. Rudolf befriedigte seine Gelüste auf andere Weise, er hatte die Nutten lieber lebendig.
Der Nachrichtensprecher kündigte zu einem späteren Zeitpunkt eine Sondersendung zur Verhaftung des Prostituiertenmörders an und fuhr mit weiteren Nachrichten des Tages fort. In der Bar setzten wieder die Unterhaltungen ein. Im Nu war der Lärmpegel so hoch wie zuvor. Wenigstens haben jetzt alle ein Gesprächsthema, dachte Mark. Er hörte, wie Laura zwei Grappe bestellte.
»Ich glaube, wir brauchen jetzt einen Schnaps«, sagte sie. »Mir ist richtig übel.«
»Mir auch.« Mark schüttelte den Kopf. »Aber ich bezweifle, dass Rudolf schuldig ist. Diese Morde
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