Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
doch eine übersinnliche Kraft innewohnt. Als ob sie keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung dulden würden.«
»Dann schreiten wir also zur Tat. Wer wirft?«
»Du natürlich. Du und deine Familie waren die Leidtragenden dieses unheimlichen Pakts, den Rudolf mit diesen Würfeln geschlossen hatte.«
Mark nahm alle drei Würfel in die rechte Hand, sah sie noch einmal kurz an, holte dann aus und schleuderte sie weit in Richtung San Giorgio.
»Nun sinken sie auf den Grund des Canale di San Marco«, sagte Laura mit leiser Stimme. »Dorthin, wo sie keinen Schaden mehr anrichten können.«
Mark nahm Laura in den Arm und sah hinaus aufs Wasser.
»Glaubst du, Rudolf spürt, dass er nun ganz alleine ist, dass ihn jetzt auch seine einzigen Freunde verlassen haben?«
»Vielleicht, aber eigentlich war er es, der ihnen untreu geworden ist, indem er sie bei dir auf San Michele zurückgelassen hat.«
Nach einigen Minuten, in denen jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, verließen sie die Brücke und liefen auf der Riva degli Schiavoni in Richtung Piazza San Marco. Auf der Piazzetta vermied es Laura, einem alten Aberglauben folgend, zwischen den beiden großen Säulen hindurchzugehen. Zu Füßen des geflügelten Bronzelöwen und des heiligen Theodor wurden über Jahrhunderte Todesurteile gesprochen und sofort am Galgen oder auf dem Schafott vollstreckt. Als sie auf der Piazza San Marco am Caffè Florian vorbeikamen, spielte die Kapelle gerade eine Ouvertüre aus einer Oper von Giuseppe Verdi.
EPILOGO
E inige Stunden später saß Mark mit Lauras Familie am großen Esstisch. Er hatte das Gefühl, dass die Zahl der Verwandten bei jedem Besuch zunahm. Guido und seine Frau Gabriella waren da, der kleine Marcello und Chiara, eine Cousine aus Padua. Vor allem hatte sich Mark gefreut, endlich Luigi kennen zu lernen, den zweiten Bruder von Laura. Von Luigi wusste er so gut wie nichts. Laura und Guido hatten es immer vermieden, etwas von ihrem Bruder zu erzählen. Mark war davon ausgegangen, dass er wohl so etwas wie das schwarze Schaf der Familie war. Umso überraschter war er, als sich Luigi als außerordentlich kultivierter Mann erwies, der im Unterschied zu seinen Geschwistern offenbar großen Wert auf ein klassisches Äußeres legte. Mark dachte, dass Luigi in der City von London jederzeit als erfolgreicher Börsianer durchgehen würde, der Zugang zu den wichtigsten Clubs hatte.
Lauras Mutter hatte wie üblich groß aufgekocht. Als Vorspeise gab es
Capelunghe
(Messermuscheln) in Weißweinsauße, danach
Risotto nero
mit Tintenfisch und als Hauptgericht
Bisato in umido
, gedünsteten Aal. Die Gespräche drehten sich anfangs ausschließlich um Rudolfs Verhaftung und den dringenden Verdacht, dass er der lang gesuchte Prostituiertenmörder war. Merkwürdigerweise waren sowohl Luigi als auch Guido der festen Auffassung, dass Rudolf unschuldig war. Dennoch glaubten sie nicht daran, dass er die geringste Chance hatte, je wieder auf freien Fuß zu kommen.
Am späteren Abend zogen sich Lauras Eltern in den ersten Stock zurück, und auch Gabriella, Marcello und Chiara gingen zu Bett. Guido schlug vor, im kleinen Salon noch einen Schluck zu trinken. Er öffnete eine Flasche Spumante, goss die Gläser ein und setzte sich auf die Lehne eines schweren Sessels. Mark spürte, dass irgendetwas in der Luft lag. Guido, Laura und Luigi sahen sich so seltsam an.
»Mark, wir müssen dir einiges erzählen«, brach schließlich Laura das Schweigen. »Rudolf hat dir doch heute Mittag sein Pech angedeutet, das er in den letzten Tagen hatte.«
Mark nickte. »Ja, da hat er aber noch nicht geahnt, dass das dicke Ende erst noch kommt.«
»Vielleicht sollte ich, bevor wir uns dem eigentlichen Thema zuwenden, erst dazu was sagen«, ergriff Guido das Wort. »Wir wissen, dass Rudolf Alessandro umgebracht hat. Das hätte er besser sein lassen sollen. Den Geldeintreiber des Principale ermordet man nicht ungestraft. Meiner Meinung nach werden ihm die Nuttenmorde von der Organisation untergeschoben. Damit rächt der Principale den Mord an Alessandro. Allerdings hätte ich eher erwartet, dass man Rudolf exekutiert. Aber wer kennt schon die Hintergründe? Vielleicht werden damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich denke, wir werden das nie erfahren, doch wenn diese Theorie stimmt, dann ist Rudolfs Schicksal besiegelt.«
»Die Theorie stimmt sicher«, sagte Luigi, der sich gerade eine Zigarre angesteckt hatte. »Erstens kenne
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