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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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sehr gemocht hatte. Schade eigentlich, dass Mark nicht zugegen war, Laura hätte ihn gerne einmal kennen gelernt. Aber dazu würde es jetzt nicht mehr kommen.
    »In nome del Padre, del Figlio e dello Spirito Santo …« Pater Franceschi bekreuzigte sich. Die ersten Tropfen fielen vom Himmel. Wie Tränen, dachte Laura, Tränen zum Abschied. Sie zuckte zusammen, als es über dem See blitzte. Kurz darauf rollte der dumpfe Donner heran. Rudolf Krobat nahm aus einem bereitstehenden Korb eine Rose, hielt kurz inne, um sie dann ins Grab zu werfen.
    Irgendwie makaber, dachte Laura, war Ottilia Balkow doch in einem Rosenbeet zu Tode gekommen. Die Glocke der Chiesa della Beata Vergine fing zu läuten an. Pater Franceschi schüttelte Rudolf Krobat voller Anteilnahme die Hand. Die Haushälterin wischte sich erneut einige Tränen von den Wangen. Wieder donnerte es. Aus den vereinzelten ersten Tropfen war bereits ein dichter Regen geworden.
    Nun war Laura an der Reihe. Sie nahm eine Rose aus dem Korb, gab der Blüte einen Kuss und warf sie ins Grab. »Ciao, Ottilia. Riposa in pace!«

10
    D ie beiden Frauen waren ihm schon beim Betreten der Harry’s Bar aufgefallen. Die eine war blond, die andere schwarzhaarig. Beide hatten ausgesprochen lange Beine, die durch die hohen Hocker vor dem Bartresen besonders vorteilhaft zur Geltung kamen. Im Vorbeigehen hatte er gehört, dass sie Deutsch miteinander sprachen. Vor ihnen standen zwei Gläser mit einem trüb-rosafarbenen, schäumenden Inhalt. Sie hatten sich also Bellini bestellt, jenen erfrischenden Aperitif aus pürierten weißen Pfirsichen und Prosecco, der von Giuseppe Cipriani einst in dieser Bar erfunden wurde und von hier seinen Siegeszug in die ganze Welt angetreten hatte. Er dagegen hielt es mehr mit Ernest Hemingway, der in der Harry’s Bar bevorzugt einen Montgomery trank, einen außerordentlich trockenen Martini. Den Namen Montgomery hatte Hemingway kreiert, weil der berühmte britische General gerne mit einer fünfzehnfachen Übermacht gegen seine Feinde ins Feld zog. Und genau so hatte nach Hemingways Geschmack das Verhältnis Gin zu Wermut im Martini zu sein.
    Während er dem Barkeeper zusah, spielte er gedankenverloren mit den drei Würfeln in seiner Jackentasche. Sie waren aus Elfenbein und hatten anstelle der Punkte kleine Diamanten. Er hatte diese Würfel, die aus Indien stammten, vor vielen Jahren einmal bei einer Auktion erworben. Seitdem hatte er sie fast immer bei sich. Sie waren zu seinen ständigen Begleitern geworden, die er zu jeder Tages- oder Nachtzeit um Rat fragen konnte. Wenn schwierige Entscheidungen anstanden, ordnete er die denkbaren Alternativen bestimmten Zahlen zu. Und dann ließ er die Würfel sprechen. Anfänglich war es ihm schwer gefallen, den Rat der Würfel ohne Wenn und Aber zu akzeptieren und sofort in die Tat umzusetzen. Denn natürlich hatte er auch Handlungsoptionen vorgesehen, die ihm eigentlich viel zu kühn, moralisch verwerflich oder gänzlich abwegig erschienen. Aber es wäre den Würfeln gegenüber ohne wirklichen Respekt gewesen, nur Alternativen ins Spiel zu bringen, die man ohnehin für praktikabel hielt. Auch extreme Lösungen mussten möglich sein. Mittlerweile hatte er gelernt, den Würfeln blind zu folgen. Zugegeben, es war schon vorgekommen, dass ihn die Würfel falsch souffliert hatten. Aber wer konnte wissen, ob es sich dabei wirklich um einen Irrweg gehandelt hatte? Aus größerer zeitlicher Distanz stellte sich manches oftmals anders dar. Die Wege der Würfel waren ebenso unerforschlich wie die des Herrn.
    Er wusste, dass er ein Spieler war. Einer, der nicht nur beim Roulette aufs Ganze ging. Nein, für ihn war das ganze Leben ein Spiel. Er machte sich lustig über jene Naiven im Geiste, die an so etwas Absurdes wie eine göttliche Vorsehung glaubten. Der Zufall bestimmte den irrwitzigen Lauf der Dinge. Aber es gab einige Auserwählte, die ein besonderes Gespür für die im Zufall innewohnende Dynamik hatten, die es verstanden, die Chancen zu erkennen und zu nutzen. Es bedurfte nur eines gehörigen Maßes an Skrupellosigkeit und der Bereitschaft, sich dieser seltsamen Macht völlig auszuliefern und allein auf sein Glück zu vertrauen.
     
    Eine halbe Stunde später saß er im ersten Stock der Harry’s Bar an einem kleinen runden Tisch und studierte die Speisekarte. Zwischendurch warf er immer wieder einen verstohlenen Blick hinüber zu den beiden Damen, die ebenso wie er nach dem Aperitif zum Essen nach oben gekommen

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