Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Porta Portello endete. Mit der Regulierung des Wassers tat man sich lange Zeit ziemlich schwer. Immer wieder gab es Überschwemmungen. Erst im 15. Jahrhundert, als Venedig seinen Machtbereich auf die Terraferma ausgedehnt hatte, wurde von den erfahrenen Wasseringenieuren der Serenissima ein funktionierendes System aus Kanälen, Dämmen und Schleusen errichtet. Dabei wurde nicht zuletzt das Ziel verfolgt, eine fortschreitende Versandung der Lagune zu verhindern. Deshalb leiteten sie das Wasser des Brenta-Kanals kurz vor der Mündung nach Süden um und errichteten einen Damm. Über diesen wurden die von Venedig kommenden Boote mittels einer hölzernen Hebebühne in den Brenta-Kanal gehievt. Berühmt ist die Riviera del Brenta für die prachtvollen Landhäuser und Paläste, die sich die venezianischen Patrizier entlang des träge dahinfließenden Flusses errichteten. Über hundert von ihnen sind erhalten. So die hochherrschaftliche Villa Foscari des genialen Architekten Andrea Palladio. La Malcontenta wird die Villa auch genannt, die Unzufriedene. Einer Legende nach hatte ein Foscari sein untreues Eheweib hierher in Verdammung geschickt.
Der Cadillac fuhr an der Villa Pisani vorbei, einem Versailles-ähnlichen Schloss, das einmal Napoleon gehört hat und in dem sich 1934 Hitler und Mussolini zum ersten Mal getroffen haben. Alessandro warf einen verächtlichen Blick auf die davor stehenden Reisebusse. Touristen hielt er für genauso überflüssig wie Stechmücken. Wenig später lenkte Alberto die Limousine über eine hölzerne Brücke. Es ging ein kurzes Stück über eine Nebenstraße. Alessandro rückte seine Krawatte zurecht. Ein großes schmiedeeisernes Tor öffnete sich. Der Wagen rollte langsam über eine gekieste Auffahrt und kam schließlich vor zwei steinernen Nymphen zum Stehen. Alessandro wuchtete sich aus dem Auto. Während er im Zeitlupentempo Streckübungen und Kniebeugen machte, holte Alberto den Aktenkoffer. Im Vergleich zu Alessandro wirkte der normalwüchsige Fahrer wie ein unterernährtes Kind im Vorschulalter.
Alessandro erschrak, als es bei einer harmlosen Übung laut und vernehmlich im Schultergelenk krachte.
»Fällt unser Terminator jetzt auseinander, ist es endlich so weit«, feixte Alberto. »Soll ich dir in der Werkstatt einen Termin besorgen, um deine losen Schrauben wieder anzuziehen?«
»Unsinn, aber diese langen Autofahrten sind Gift für meine zarten Gelenke.«
Alessandro führte hoch konzentriert einige Schulterrotationen durch.
»So, alles wieder funktionsbereit. Komm, Kleiner, gib mir das Köfferchen.«
»Ist er dir auch bestimmt nicht zu schwer?«
»Sehr witzig.«
Alessandro nahm den Aktenkoffer an sich und lief die Stufen hinauf zum antiken Vorbau des Palazzo, den der Principale bewohnte. Er war den Villen des Andrea Palladio nachempfunden, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Andrea di Piero della Gondola hieß. Erst sein großer Förderer, der Vicentiner Graf Giorgio Trissino, gab ihm nach Pallas Athene, der Göttin der Künste, den Namen Palladio.
Alessandro indes hatte weder einen Blick für die dorischen Säulen am Eingang noch für die mythologischen Fresken an der Decke der griechischen Vorhalle, die so aussahen, als stammten sie von keinem Geringeren als Tiepolo. Alessandro wusste, dass der Principale bereits im Kaminzimmer wartete. In dem für Palladio-Villen typischen kreuzförmigen Saal, der kunstsinnige Menschen an römische Thermen erinnern mochte, wandte sich Alessandro nach rechts. Er rückte erneut den Krawattenknoten zurecht, klopfte und trat ein.
»Ah, buona sera, Alessandro, schön, dich zu sehen, come stai?«, wurde er vom Principale begrüßt, der wie immer in einem Lehnstuhl saß.
»Komm her, nimm Platz, und erzähl von deinem Ausflug.« Der Principale winkte auffordernd mit der Hand. »Du hast mir ja schon am Telefon gesagt, dass du erfolgreich warst. Benissimo, bravo. Sono contento.«
Alessandro öffnete den Aktenkoffer und ließ den Principale einen Blick hineinwerfen. Er war randvoll mit fein säuberlich gebündelten Geldscheinen.
»Exakt dreihunderttausend Mark«, stellte Alessandro fest.
»Hattest du Mühe, ihn zu überreden?«, wollte der Principale wissen.
Alessandro schloss das Köfferchen wieder, stellte es zum Principale an den Lehnstuhl und nahm im gegenüberstehenden Sessel Platz.
»Nein, überhaupt nicht. Nur hab ich ihn zunächst nicht erreicht. Wie Sie wissen, habe ich deshalb noch bei unserer Filiale vorbeigeschaut. Da gab es
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