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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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Sutherland in der Rolle des lustgetriebenen Venezianers.
    Erneut schlug er das Buch auf. »Die größte Erleichterung, die ein Mensch in Haft erfahren kann«, schrieb Casanova, »ist die Hoffnung, bald herauszukommen. Er denkt an den glücklichen Augenblick, da er das Ende seines Unglücks erleben darf.«
    Wohl wahr. Die Hoffnung, bald herauszukommen, hatte auch er. Er wusste immer noch nicht, was seine Entführer bezweckten. Lorenzo beantwortete keine Fragen. Genau genommen sagte er überhaupt nichts. Nicht einmal auf Italienisch. Aber worum sollte es sich sonst handeln als um eine Lösegelderpressung?
    Mark Hamilton las gerade von der Glocke von San Marco, die Mitternacht schlug und Casanova bei seiner Flucht zu neuen Kräften verhalf, da wurde der Schieber an der Stahltür geöffnet. Lorenzo trat ein und reichte ihm wortlos eine Schwimmbrille, deren Gläser mit schwarzer Farbe dick verkleistert waren. Mark Hamilton sah Lorenzo fragend an. Der deutete nur mit dem Zeige- und dem Mittelfinger auf die Augen. Mark nickte und setzte die Brille auf. Sie funktionierte perfekt, er war jetzt tatsächlich blind wie ein Maulwurf. Lorenzo nahm ihn am Arm und führte ihn aus seinem Verließ, eine Treppe hoch, durch einen Raum, in dem die Schritte hohl widerklangen. Mark stolperte über eine Schwelle. Offenbar waren sie nun in einem Zimmer angelangt. Er spürte weiche Teppiche unter den Füßen, und auch die Akustik war deutlich verändert. Lorenzo veranlasste Mark, stehen zu bleiben, drehte ihn und setzte ihn auf einen Stuhl.
    »Wenn Ihnen lieb ist la vita, dann versuchen Sie nicht, die Brille abzunehmen.« Die Stimme war kratzig, nicht unfreundlich, aber sehr bestimmt. Dass es sich um einen Italiener handelte, der allerdings gut Deutsch sprach, war unüberhörbar.
    Mark nickte. »Sie können sich darauf verlassen. Ich will nichts, aber auch gar nichts sehen.«
    »Perfetto, dann das wäre geklärt.«
    Hinter ihm waren Schritte zu hören, wahrscheinlich von Lorenzo.
    »Ich hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl«, fuhr die Stimme fort.
    »Ganz ausgezeichnet, herzlichen Dank für die Einladung«, erwiderte Mark.
    »Benissimo, schön, dass Sie nicht verloren haben Ihren umorismo.«
    »Wie lange darf ich mich Ihrer Gastfreundschaft noch erfreuen?«
    Mark hörte ein kurzes Lachen. »Das hängt ganz ab von Ihnen.«
    »Dann sagen Sie doch bitte, was ich tun kann, um Ihnen nicht zu lange zur Last zu fallen.«
    »Con piacere, deshalb ich habe Sie hergebeten. Wir möchten, dass Sie für Ihre Freiheit bezahlen. Und zwar exakt zwölf Millionen.«
    »Lire?«, fragte Mark schüchtern.
    Wieder dieses kurze Lachen. »Purtroppo no, Deutsche Mark. Aber Sie können froh sein, dass es sich nicht um Euro handelt.«
    »O ja, in der Tat, was für ein Glück.«
    Zwölf Millionen Mark? Die Herren Entführer überschätzten seine Möglichkeiten, stellte Mark fest. Hatte er sein Erbe richtig im Kopf, so lag es eher bei neun Millionen Mark.
    »Falls Sie nicht zahlen oder wenn es gibt Probleme, sind wir leider gezwungen, Ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sehr bedauerlich.«
    Mark schluckte. »Ja, das hielte auch ich für ausgesprochen bedauerlich.« Und nach einer kurzen Pause: »Ich muss Ihnen aber leider sagen, dass Sie mit dieser Lösegeldforderung entschieden zu hoch liegen. Ich bin nur ein kleiner Fotograf …«
    »Und ein großer Erbe! Das stand hier sogar in der Zeitung.«
    »Tatsächlich? Das wusste ich nicht.«
    »Jetzt wissen Sie es.«
    »Aber die Erbschaft war nicht so hoch. Ich kann keinesfalls so viel aufbringen.«
    Mark hörte, wie sein Gegenüber aufstand und durchs Zimmer lief. Der Boden – offenbar war unter den Teppichen Parkett – geriet in Schwingungen. Mark vermutete, dass es sich bei dem schwergewichtigen Mann um seinen unmittelbaren Entführer handelte, nämlich jenen offensichtlich hünenhaften Menschen, der ihn mit spielerischer Leichtigkeit wie einen halb vollen Sack Kartoffeln zum Auto getragen hatte. Wie würde er auf seinen Liquiditätsengpass reagieren?
    »Ich hoffe zu Ihren Gunsten, dass Sie mich nicht, come si dice, verarschen. Was können Sie maximal aufbringen? Und vergessen Sie nicht, es geht um ihr Leben!«
    »Acht Millionen Mark, das ist mein gesamtes Erbe. Mehr habe ich nicht.« Ein kleines Finanzpolster wollte er schon noch retten, das war ja wohl legitim.
    »Acht Millionen?« Mark hörte den Zweifel in der Stimme. »D’accordo, acht Komma fünf Millionen! Wir werden in Kürze ein Telefonat führen. Ich möchte,

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