Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
wahrhaben wollte. Laura lächelte. Sie hatte soeben einen Plan gefasst. Er war noch unausgegoren, doch irgendwie sollte er in die Tat umzusetzen sein. Laura schloss die Augen. Und sicher war es besser, wenn sie Mark nichts davon erzählte. Bald war auch sie eingeschlafen.
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I m Sestiere San Polo lässt sich noch etwas von Venedigs ursprünglichem Alltagsleben erahnen. Gleich hinter der Rialtobrücke liegen die verwinkelten Gassen dieses kleinsten aller venezianischen Stadtviertel. Schmale Brücken führen über enge Kanäle. Zwischen altersschwachen Fassaden zeugen elegante Palazzi von vergangener Pracht. Auf versteckten Campi spielen Kinder. Katzen rekeln sich in der Sonne. Am großen Campo di San Polo, der wie eine Theaterkulisse wirkt und wo einst Stierhatzen veranstaltet wurden, trifft man sich unter den Schirmen der Cafés. Auf dem Mercato di Rialto begegnet sich halb Venedig beim Einkauf. Frisches Obst und Gemüse. Das rege Treiben in der großen Halle der Pescheria, dem traditionellen Fischmarkt von Venedig. Seezungen, Tintenfische, Muscheln, Garnelen, Langusten, Seeteufel. Und nur wenige Schritte weiter kleine Bàcari, wo man gleich am Tresen mit dem Zahnstocher Fische und Muscheln probieren und dazu ein kleines Gläschen Wein trinken kann. »Andar per ombre«, sagt man dazu in Venedig. Der Name
ombra
für ein Gläschen Wein soll darauf zurückzuführen sein, dass früher am Markusplatz die Weinhändler während des Tages dem kühlenden Schatten (ombra) des Campanile folgten. Besonders beliebt ist es, einen
Giro delle ombre
zu machen und Wein trinkend von Bàcaro zu Bàcaro zu ziehen.
Zu den ältesten Bàcari in San Polo, in unmittelbarer Nähe der Rialtomärkte gelegen, zählt das Do Spade, wo schon Casanova einzukehren pflegte. Rudolf hatte noch den Geschmack der köstlichen Tramezzini im Mund, als er sich vom Wirt verabschiedete. Eine letzte
ombra
, dann schlenderte er die Ruga Vecchia San Giovanni hinunter, begrüßte einen Bekannten, kaufte frisches Brot bei Mauro und holte seine Zeitungen ab, die er sich hatte zurücklegen lassen. Am Campo Sant’ Aponal bog er nach rechts ab und stand wenig später vor dem Eingangsportal eines barocken Hauses. Mit zufriedenem Lächeln zog er einen Schlüssel aus dem Jackett und sperrte auf. Er hatte seinen Traum wahr gemacht. Zwei Dinge waren es, die er sich erst vor wenigen Wochen auf der Rialtobrücke vorgenommen hatte. Beide Vorhaben hatte er in die Tat umgesetzt. Alessandro würde ihm nicht mehr schaden können. Das hatte geradezu hervorragend geklappt. Rudolf kicherte. Er hatte ihn endgültig von seinen Rückenschmerzen kuriert. Schade nur um die schöne Amphore. Ein vergleichbares Stück suchte er für seine Empfangshalle. Und den Palazzo, den hatte er schneller gefunden als erwartet. Schon das erste Projekt, das ihm von einem Makler gezeigt worden war, hatte all seine Erwartungen erfüllt. Der Palazzo lag am Rio delle Beccarie und war gut mit einem Motoscafo oder mit der Gondel zu erreichen, die vor sehr repräsentativen Säulenarkaden anlegen konnten. Wie überhaupt die Wasserseite geradezu perfekt seinem Geschmack entsprach. Die Fassade war üppig verziert, mit Säulen und Rosetten versehen und kleinen steinernen Engeln, die einem zuzulächeln schienen. Im Obergeschoss gab es über die gesamte Breite einen prächtigen Balkon, auf dem man seinen Gästen sehr eindrucksvoll einen guten Spumante servieren konnte. Und erst die Innenräume, schon ihre Höhe war atemberaubend, die Parkettfußböden, Stuckaturen an den Wänden, Deckengemälde, alte Möbel aus edlen Hölzern – einfach ein Traum.
Er hatte diesen Palazzo zunächst nur gemietet, aber er verfügte über eine Kaufoption, konnte es sich also noch anders überlegen. Das hatte den Vorteil, dass er über sein wunderbares Geld weiter uneingeschränkt zu verfügen vermochte. Ein herrliches Gefühl! Nur die Möbel, die hatte er gekauft. Auch das war ausgesprochen einfach gewesen. In Santa Croce hatte ein verarmter Adliger sein ganzes Inventar veräußern müssen, um seine Schulden zu bezahlen. Eine beklagenswerte Situation, armer Kerl. Jedenfalls konnte er das gesamte Mobiliar übernehmen, inklusive der Teppiche, des Familiensilbers und einiger riesenhafter Ölgemälde für die Wände. Ausgesprochen angenehm, wenn man das alles sozusagen aus der Portokasse bezahlen konnte.
Rudolf lief die Treppe hinauf, die Stufen aus Marmor hatte und breit geschwungen war, warf die Zeitungen auf ein Barocktischchen und
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