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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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Laura mal mit ihm befreundet war.
    »Nein«, antwortete Laura laut lachend. »Guido liebt meine Mutter von ganzem Herzen. Übrigens, jetzt kommen wir ins ehemalige jüdische Viertel Venedigs, das so genannte Ghetto.«
    »Wirklich Ghetto?«, reagierte Mark überrascht.
    »Ja, der Name stammt aus Venedig und hatte nichts Schlimmes an sich. Ursprünglich hat eine kleine jüdische Gemeinde auf Giudecca gewohnt, weshalb das Sestiere noch heute so heißt. Später hat man den Juden hier in Cannaregio einen Bereich zum Wohnen zugewiesen. Und weil hier früher die Gießereien waren, hatte die Gegend den Namen
getto
, was auf Italienisch in diesem Fall nichts anderes als Gießerei heißt.«
    »Demnach durften die Juden auch in Venedig nicht überall wohnen, oder?«
    »Richtig, so weit ging die Toleranz nun auch nicht, immerhin fürchteten die Venezianer die Geschäftstüchtigkeit der Juden. Sie durften auch nur in bestimmten Berufen arbeiten und nachts ihr Viertel nicht verlassen. Aber im 16. und 17. Jahrhundert, als zunächst das Ghetto Vecchio und dann das Ghetto Nuovo gegründet wurden, fühlten sich die meisten Juden trotz der Beschränkungen bestimmt recht wohl in Venedig. Erst später verschlechterten sich ihre Lebensbedingungen, wurden ihre Bürgerrechte weiter eingeschränkt. Und im Faschismus fielen auch in Venedig viele Juden dem Holocaust zum Opfer.«
    Sie kamen an einer der wenigen verbliebenen Synagogen vorbei. Mark blieb vor einer jüdischen Bäckerei stehen. Laura machte ihn auf die für Venedig ungewöhnlich hohen Häuser aufmerksam, die aus der einstigen Platznot im Ghetto entstanden waren. Heute leben nur noch wenige hundert Juden in Venedig. Sie zeigte ihm den verlassenen Campo di Ghetto Nuovo, der nicht mehr viel vom vergangenen Wohlstand der jüdischen Gemeinde erahnen ließ und ihrer Meinung nach viel zu selten von Touristen besucht wurde.
    Sie verließen das Ghetto über eine Brücke und gelangten in das nördlichste Eck Venedigs, das sich deutlich von den touristischen Arealen abhob und bei dem viele Häuser dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen waren. Nach einigen Minuten standen sie vor Lauras Elternhaus. Mark betrachtete die einfache, aber tadellos gepflegte Fassade, die grünen Fensterläden und den schmiedeeisernen Balkon. Aus einem offen stehenden Fenster im ersten Stock hörte er Klavierspiel.
    »Jetzt wird’s ernst«, bereitete ihn Laura auf den bevorstehenden Empfang vor.
    »Willst du mich einschüchtern? Ich komme mir langsam vor, als ob ich vor Gericht geladen wäre.«
    Laura lachte. »Im Prinzip liegst du mit dem Vergleich nicht so falsch. Aber es wird bestimmt viel lustiger. Zum Sonntagsessen ist immer die halbe Familie im Haus.«
    Während sie klingelte, rückte Mark unwillkürlich den Kragen seines Polohemds zurecht und fuhr sich durch die Haare. Sie hörten laute Rufe, das Klavierspiel verstummte. Eilige Schritte näherten sich, die Tür wurde aufgerissen. Lauras Mutter breitete die Arme aus. Sie war eine schöne, schlanke Frau mit hochgesteckten schwarzen Haaren und den gleichen grünen Augen, die er von Laura kannte. Und auch die kleinen Grübchen, die er an Laura so liebte, fand er wieder.
    »Laura, carissima, lass dich umarmen.«
    Das folgende Begrüßungszeremoniell war ebenso stürmisch wie für Mark unübersichtlich. Laura stellte ihn ihrer Mutter vor, die ihn zu seiner Überraschung auch sogleich umarmte. Lauras Vater, der die Treppen heruntergekommen war, inspizierte ihn zunächst von oben bis unten, nickte dann und hieß ihn herzlich willkommen. Eine Katze lief zwischen Marks Beinen hindurch und brachte ihn fast zu Fall. Ein kleiner Junge, der Marcello hieß, nahm ihm die große Reisetasche ab und schleppte sie in ein Nebenzimmer. Eine Gabriella, jung und hübsch, küsste ihm die Wangen. Laura und ihre Mutter redeten so schnell miteinander, dass Mark kein Wort verstand. Währenddessen wurde er irgendwie durch den Flur in einen kleinen Salon geschoben, wo ihr Vater schon dabei war, die bereitstehenden Gläser zu füllen.
    Laura tippte Mark auf die Schulter. »Darf ich dir noch jemanden vorstellen. Obwohl, ihr kennt euch ja schon.«
    Er drehte sich um und stutzte. »Guido? Was machst du denn hier?«
    Laura kicherte vergnügt. »Er wohnt hier. Als mein Bruder darf er das.«
    »Dein Bruder?« Mark schaute überrascht. Der Bruder also, auf diese nahe liegende Möglichkeit war er gar nicht gekommen.
    »Was dachtest du denn?«, amüsierte sich Guido. Und zu seinen Eltern gewandt:

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