Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

neben der Vaporetto-Station. Vor ihnen führten steinerne Stufen ins Wasser. Jemand zündete sich eine Zigarette an, ein Mädchen suchte im Rucksack nach ihrem Regenumhang. Das Vaporetto musste jeden Augenblick kommen. Ein junger Mann saß etwas abseits auf einem gusseisernen Festmacherpoller und starrte geistesabwesend ins grünliche, still vor sich hin schwappende Wasser des Rio dell’Arsenale, auf dem die vereinzelten Regentropfen ihre Kreise hinterließen. Plötzlich sprang er auf und wäre dabei fast ausgeglitten und ins Wasser gestürzt. Seine Freunde eilten herbei und sahen mit ihm ins Wasser. Entsetzt beobachteten sie, wie hinter vier großen Holzpollern, die mit einer rostigen Kette zusammengehalten wurden, von einer leichten Strömung geschoben, ein toter Körper auftauchte. Der nackte Leichnam schwamm mit dem Gesicht nach unten im Kanal. Die langen Haare und die Umrisse des Körpers ließen keinen Zweifel zu, dass es sich bei der Leiche um eine Frau handelte.
     
    Schon am Nachmittag war die Tote aus dem Rio dell’Arsenale das alles beherrschende Gesprächsthema in den Bars von Venedig. Und am nächsten Tag konnte jeder in der Zeitung lesen, dass es sich bei ihr um eine Edelhure aus Mestre handelte, die in den Spitzenhotels von Venedig ein und aus ging und nur besonders zahlungskräftige Freier hatte. Ihr Tod war durch Strangulation mit einer roten Samtkordel herbeigeführt worden.

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    I m offenen Mercedes fuhr Rudolf über die Landstraße. Montebelluno lag bereits hinter ihm, es waren nur noch wenige Kilometer nach Asolo, wo er zum Mittagessen eine geschäftliche Verabredung hatte. Rudolf war bester Laune und grenzenlos optimistisch. Er ahnte, dass das Gespräch, das unerwartet zu Stande gekommen war, einen positiven Verlauf nehmen würde. Er drehte die Musik lauter. Vivaldis
Vierjahreszeiten
orchestrierten das Wechselspiel des Lichts und der Farben, die durch das Laub der vorbeiziehenden Alleebäume fielen. Rechts oben waren am Hügel bereits die mittelalterlichen Häuser von Asolo zu sehen, jener kleinen, befestigten Stadt, die für ihre hundert Horizonte berühmt ist.
Cittadina dei cento orizzonti
hatte der Dichter Giosuè Carducci Asolo wegen seiner herrlichen Ausblicke auf die vielen Hügel genannt, die sich – ähnlich wie in der Toskana – im Dunst verlieren. Der englische Dichter Robert Browning, der 1889 in Venedig starb, hatte hier gelebt und ebenso das angenehme Klima wie das herrliche Panorama genossen. Eleonora Duse, die große italienische Charakterdarstellerin der Jahrhundertwende und Geliebte von Gabriele d’Annunzio, hatte in Asolo ein Sommerhaus, bei dem sie auch beigesetzt wurde. Auf Kardinal Pietro Bembo geht der Begriff
asolare
für das angenehme Nichtstun zurück, das sich in Asolo so vortrefflich kultivieren lässt.
    Die größte Berühmtheit in der Geschichte Asolos aber war Caterina Cornaro, die 1454 in Venedig im Familienpalast am Canal Grande geboren wurde. Bei der Vaporetto-Station San Stae steht der nach ihr benannte Palazzo Corner della Regina, der allerdings erst im 18. Jahrhundert an Stelle des alten Palastes errichtet wurde. Die Lebensgeschichte der Caterina Cornaro liest sich wie ein Roman, der alle Elemente von Kitsch bis zur großen Tragödie enthält, vor allem aber die kompromisslose Machtpolitik Venedigs entlarvt. Geboren als Tochter einer der reichsten und vornehmsten Familien Venedigs, war Caterina Cornaro erst vierzehn Jahre alt, als der König von Zypern um ihre Hand anhielt. Dabei war Jakob  II . wohl weniger von ihrer jugendlichen Schönheit geblendet als von der stattlichen Mitgift, die er von den Eltern erwartete und die ihm aus seinen finanziellen Nöten helfen sollte. Venedig war von seinem Werben mehr als angetan, sah die Lagunenstadt doch plötzlich eine raffinierte Möglichkeit, sich Zypern einzuverleiben. Caterina Cornaro wurde kurzerhand zur Tochter der Republik erklärt und die Heirat an die Bedingung geknüpft, dass das Königreich Zypern beim Ausbleiben von Erben an Caterina Cornaro fallen würde. Hunderttausend Dukaten bekam der Bräutigam zur Hochzeit, eine für damalige Zeiten ungeheure Summe. Doch lange sollte er sich an diesem Vermögen nicht erfreuen können. Nur acht Monate nachdem er mit seiner blutjungen Frau nach Zypern zurückgekehrt war, fiel er einem Giftmord zum Opfer. Gar nicht im Sinne von Venedig war Caterina aber bereits schwanger und brachte mit Jakob  III . einen Sohn und Thronerben auf die Welt. Doch keine zwei Jahre