Vereist (German Edition)
war.
Lockerer werden. Viel lockerer.
Aber im Augenblick musste er sich darauf konzentrieren, hier in den Bergen nach einem Stück Dreck Ausschau zu halten. Er bückte sich unter einem schneebeladenen Ast hindurch und fühlte sich einen Augenblick lang wie damals als Kind, wenn er hinter dem Haus Räuber und Gendarm gespielt hatte. Samuel war immer der Räuber gewesen, Alex der Gendarm. Die großen Bäume im eingezäunten Garten waren prima Verstecke gewesen. Auch Forts hatte man dort bauen können. Alex hatte schon als Kind Polizist werden wollen. Außer während einer kurzen Phase als Neunjähriger, in der Feuerwehrmann sein Favorit gewesen war. Aber dann war in der Straße ein Haus abgebrannt, und die brutale Zerstörung und der Geruch hatten ihn völlig verschreckt. Danach hatte er lieber wieder Cop werden wollen.
Er hatte schon immer das Bedürfnis gehabt, die Bösen zur Strecke zu bringen.
Hey. Ich lebe meinen Traum.
Aber sich dabei den Hintern abzufrieren oder in einem Flugzeugwrack zu campieren, in dem die Müsliriegel ausgingen, war nie Teil dieses Traums gewesen. Sein Magen knurrte. Sie würden zwar noch ein paar Tage ohne Essen durchstehen, aber alle würden furchtbar schlechte Laune haben.
Er spürte die winzige Luftbewegung im Gesicht, bevor er den Schuss hörte. Sofort ließ er sich zu Boden fallen. Sein Mund füllte sich mit Schnee, doch er hob den Kopf ein wenig an, sodass er die Umgebung im Blick behalten konnte.
Besand? Thomas? Thomas würde doch nicht auf ihn schießen – oder?
Alex war sich nicht sicher, aus welcher Richtung der Schuss gekommen war. Die Echos hatten ihn wie mehrere Schüsse klingen lassen. Am wahrscheinlichsten war, dass der Schütze sich halbrechts vor ihm befand, auf etwa zwei Uhr.
Als sie den Knall hörten, griff Brynn nach Jims Arm.
»Das war ein Schuss.«
»Ja. Aber wer hat auf wen geschossen?«, murmelte Ryan.
»Geschossen hat sicher Besand«, antwortete Jim. »Alex und Thomas schießen nur, wenn sie ihr ganzes Magazin in das Schwein pumpen können.«
Brynn machte zwei Schritte zur Tür, aber Jim packte sie an der Schulter und sah sie mit ernsten Augen an. »Keiner geht jetzt da raus. Nicht, solange Alex nicht zurück ist.«
Und wenn er gar nicht zurückkommt?
Brynn spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich und wie ihre Schultern nach unten sackten. Thomas war auch dort draußen. Er würde Alex helfen, wenn es Probleme gab. Alex war ganz versessen darauf, Besand zu finden. Er wollte Rache für den Mord an seinem Bruder und für all die anderen Opfer. Besand hatte Alex mit den anschaulichen Schilderungen der Morde gequält. Bevor Besand das Versteck einer Leiche preisgab, musste Alex sich erst in allen Einzelheiten anhören, wie dieser Mensch gestorben war. Details hatte Alex ihr zwar nicht erzählt, und das wollte sie auch nicht. Aber sie hatte gesehen, wie alles Menschliche aus Alex’ Blick verschwand, wenn er über Besands Opfer sprach.
Sie sah Jim an. Er hatte die Lippen grimmig zusammengepresst.
Wie kann er nach dem Schuss einfach weiter hier herumsitzen?
Sie selbst hielt es kaum noch aus.
Jim wusste, wie es sich anfühlte, jemanden zu töten. Er war ausgebildeter Scharfschütze – der beste im Umkreis von vier Countys. Zwar war er schon oft zu Einsätzen gerufen worden, aber nur zweimal hatte er abdrücken und einen Verdächtigen erschießen müssen, weil das Leben von Geiseln bedroht gewesen war. Ein Geiselnehmer hatte einen Sekundenbruchteil vor Jims Schuss noch die Kehle eines Kindes aufgeschlitzt. Das kleine Mädchen war gerettet worden, aber Brynn wusste, dass Jim danach lange Zeit unter Albträumen gelitten hatte. Träume, in denen er das Mädchen traf oder in denen sein Schuss dafür sorgte, dass der Geiselnehmer einen tieferen Schnitt machte.
Der Medienruhm war auch nicht hilfreich gewesen. Jeder Vorfall wurde zusätzlich aufgebauscht und tagelang in den Zeitungen immer wieder aufgewärmt. Jim quälte sich dann monatelang mitTherapiesitzungen herum und dachte über einen Berufswechsel nach. Aber er war mit Leib und Seele Cop. Er konnte nicht einfach etwas anderes machen. Jim war dank seiner Treffsicherheit in der Lage, Menschen zu helfen und hatte gelernt, mit seinen Dämonen fertig zu werden. Brynn wusste, dass Alex mit seinen eigenen Dämonen kämpfte. Aber konnte er sie ein für alle Mal vertreiben, indem er Besand tötete? Oder würden nur noch weitere dazukommen?
Ihre Gedanken verfingen sich an einer Frage:
Hat Alex schon einmal
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