Vereist (German Edition)
Auffällig war auch der Riese, der nie eine Kapuze trug. Die anderen zwei sahen einander so ähnlich und bewegten sich so gleichartig, dass er nicht einmal erkennen konnte, wer die Frau war.
Darrin brauchte ein GPS, um den Weg aus diesem verfluchten Wald zu finden.
Und jetzt war niemand mehr im Flugzeug.
Dass der junge Kerl in der vergangenen Nacht zum Pinkeln aus dem Wrack gekommen war, war ein Geschenk des Himmels gewesen. Darrin hatte ihn im wahrsten Sinne des Wortes mit heruntergelassenen Hosen erwischt und ihm einen Stein auf den Schädel geschlagen.
Und Darrins Glückssträhne hielt immer noch an. Jetzt machten sich alle zusammen auf die Suche nach dem fünften Mann.
Darrin steckte das Fernglas weg und schlich los Richtung Flugzeug.
»Eine Stunde.«
Thomas sagte es zum dritten Mal, und Alex nickte. Jim hatte angeordnet, dass sie zwei Stunden lang suchen und sich dann wiederim Flugzeug treffen sollten. Alex trat in die Fußstapfen seines großen Partners und hielt angestrengt Ausschau nach jeder Art von Spuren im Schnee. Ein Farbfleck, eine Bewegung – alles konnte wichtig sein. Alle paar Minuten blieben sie stehen und riefen Liams Namen. Aber immer antwortete ihnen nur Stille. Wenigstens wurde das Wetter besser. Zwischen den Wolken schimmerten hier und da blaue Stellen hindurch. Die Hubschrauber würden bald kommen, aber sie konnten nicht einfach ohne Liam wegfliegen. Pessimismus breitete sich in Alex aus.
Was war mit Liam passiert?
Wenn sie nicht mitten in der Wildnis gewesen wären, hätte Alex geglaubt, Liam wäre weggegangen, damit sie beide nicht aufeinanderhocken mussten. Er empfand leichte Gewissensbisse. Gestern Abend hätte er dem jüngeren Mann am liebsten die Faust ins Gesicht gerammt. Liam hatte ihn bis aufs Blut gereizt.
Vermutlich war er nur zum Pinkeln rausgegangen. Einen anderen Grund, das Flugzeug zu verlassen, gab es nicht. Liam wusste, dass heute die Hubschrauber kommen würden und hätte Tyrone nie allein zurückgelassen. Brynns Ex mochte ein kolossaler Kotzbrocken sein, aber dass er an seinem Bruder hing, verstand Alex sehr gut.
Thomas rannte plötzlich unbeholfen los. »Da. Dort drüben.«
Alex befahl seinen müden Muskeln, sich zu bewegen und joggte durch den tiefen Schnee hinterher. Unter einer Tanne lag ein regloses rotes Bündel.
Verdammt! Kommen wir zu spät?
Thomas duckte sich unter den Ästen hindurch, fiel neben der Gestalt auf die Knie, wischte Liams Gesicht frei und legte zwei Finger an die Seite seines Halses. Alex ließ sich neben Thomas fallen.
»Ist er tot?«, schnaufte er. Liams Gesicht war weiß, fast blauweiß, und er lag viel zu still.
»Er hat einen schwachen Puls«, antwortete Thomas. »Er ist eiskalt, aber wenigstens ist er trocken. Gib mir deine Handwärmer.«
Alex reichte Thomas die kleinen Wärmekissen, dann ließ der Hall eines Schusses ihn erstarren.
»Was zum …«, fing Thomas an.
Ein weiterer Schuss.
Brynn
. Alex schlug das Herz bis zum Hals. Adrenalin jagte durch seine Venen. Er sprang auf, machte einen Schritt Richtung Flugzeug, dann blieb er stehen, fuhr herum und machte wieder einen Schritt zurück zu Liam. Wie erstarrt stand er da. Sein Herz und seine Gedanken rasten.
Wem jetzt helfen?
»Das könnten die beiden anderen sein«, sagte Thomas ohne rechte Überzeugung. Er sah Alex kurz an, dann steckte er Liam mit raschen Griffen die Handwärmer in die Achselhöhlen.
»Nein.« Alex’ Gefühl sagte ihm, dass die Schüsse vom Flugzeug gekommen waren.
Thomas zog das Handy aus der Tasche. »Ich habe ein schwaches Signal. Ich versuche, Jim herzurufen. Geh du zurück zum Wrack. Aber sieh dich vor.«
Alex atmete erleichtert auf. »Bist du sicher?«
»Ja. Beeil dich«, kommandierte Thomas.
Das ließ Alex sich nicht zweimal sagen.
Z WANZIG
Er würde sterben.
Alex’ Lunge brannte so sehr, dass er glaubte, sie würde zerrissen. In den Spuren, die er und Thomas hinterlassen hatten, hatte er sich so schnell wie möglich durch den Schnee zurückgepflügt. Seit den Schüssen war eine halbe Stunde vergangen. Jetzt war es totenstill im Wald.
Ist sie okay? Lieber Gott, bitte pass auf sie auf.
Endlich sah er das Flugzeug. Nichts regte sich. In knapp dreißig Metern Entfernung blieb Alex auf einer kleinen Anhöhe stehen, stützte die Hände auf die Oberschenkel und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
»Brynn! Ryan!«, schrie er.
Kein Laut.
Alex starrte in den Schnee vor der Flugzeugtür.
Ist das Blut?
Sein Mund wurde trocken.
»Brynn!«
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