Vereist (German Edition)
Ryan fit genug für den Rückweg zum Basislager? Vorher hatte der junge Kerl noch ausgesehen wie ein Gespenst. Er selbst fühlte sich schon viel besser und traute sich die Wanderung zu.
Alex zuckte zusammen. Ihm war plötzlich eingefallen, weshalb er eigentlich hier war. Schlagartig spannte sein Körper sich an. Wie kam es, dass er stundenlang nicht an den Killer gedacht hatte?
Darrin Besand. Die Lawine hatte ihn geradezu aus Alex’ Bewusstsein radiert. Brynn und sein wiedererwachendes Interesse am Leben hatten ihn abgelenkt. Aber Besand ließ sich nicht aufschieben. Alex musste dieses Stück Dreck schnell finden. Er wollte die Wahrheit wissen.
Mit geschlossenen Augen dachte er nach. Was tat ein verurteilter Mörder, der bei einem Flugzeugabsturz verletzt worden war und nicht mehr ins Gefängnis wollte, wenn er eine Rettungsmannschaft kommen sah?
Er versteckte sich.
Und dann?
Dann wartete er und folgte den Rettern zurück in die Zivilisation.
Alex wusste, dass Besand lieber sterben als noch einmal ins Gefängnis gehen würde. So gut kannte er ihn inzwischen. Nicht einmal, wenn er am Verbluten war, würde Besand um Hilfe rufen. Hielt er sich vielleicht ganz in der Nähe auf? Oder hatte er versucht wegzukommen, bevor der Suchtrupp das Wrack erreicht hatte? Gestern waren Jim und er noch dieser Meinung gewesen. Aber wirklich sicher war Alex sich inzwischen nicht mehr.
Der einzige Ort, an dem Besand die kalten Nächte überlebt haben konnte, war das andere Wrackteil. Alex konnte nicht mehr still liegen. Nur mit Mühe gelang es ihm, nicht aufzuspringen, hinauszurennen und sich auf den Weg zum Cockpit zu machen. Seine Gedanken rasten. Wo sollte Besand sonst sein? Sicher gehörte kein Zelt zur Notfallausrüstung der kleinen Maschine. Besand lag also irgendwo tot im Wald – oder er versteckte sich im Cockpit, während sie hier schliefen.
Die Blutflecken auf dem Sitz neben Linus waren nicht sehr groß gewesen. Vermutlich war Besand nicht allzu schwer verletzt. Er konnte natürlich innere Verletzungen erlitten haben. In Alex’ Eingeweiden brannte plötzlich heiße Wut.
Ich hoffe, du bist im Schnee verreckt, du Scheißkerl. Ich hoffe, dir sind bis zur letzten Minute eisige Graupelkörner ins Gesicht geprasselt und du warst bis zum Ende hellwach.
Auf Brynns anderer Seite setzte Jim sich abrupt auf, schaute sich verwirrt um und schien erst nach und nach zu verstehen, wo er sich befand. Er sah Brynns Kopf auf Alex’ Schulter ruhen. Als er Alex’ starren Blick auffing, verengten sich seine Augen.
Los, Jim. Sag was. Irgendwas.
Jim räusperte sich leise, schaute weg und spähte zum Fenster, von dem fahles Licht ins Flugzeug fiel. Alex schätzte, dass es etwa sechs Uhr morgens war.
»Was hast du vor?«, flüsterte Alex.
Jim wandte sich ihm zu, sah aber demonstrativ an Brynn vorbei. »Wir müssen reden.«
Alex nickte. »Aber nicht hier und jetzt.«
»Später. Allein.« Jims Stimme klang hart.
»Ich will mich noch mal im Cockpit umsehen«, raunte Alex. Außerdem musste er dringend pinkeln. Aber er brachte es nicht über sich, Brynns Kopf von seiner Schulter zu schieben.
»Im Cockpit? Warum …?« Jim brach ab. Er hatte verstanden. »Du glaubst, Besand ist noch hier?«
Alex zuckte mit der freien Schulter. »Er kann auch tot unter einem Schneeberg liegen oder auf dem Weg ins Tal sein. Aber ohne ein Zelt oder wenigstens eine Plane hat er die Nacht hier draußen nicht überlebt. Aber vielleicht war er im Cockpit.« Alex atmete durch. »Solange ich seine Leiche nicht gesehen habe, muss ich davon ausgehen, dass er noch lebt.«
Ohne die Augen zu öffnen, rückte Brynn ein wenig von ihm ab und rollte sich zusammen.
Alex’ Schulter fühlte sich plötzlich kalt an. Er sah Brynn an, bat sie stumm, sich wieder an ihn zu kuscheln. Aber sie schlief.
In Jims Augen sah er eine seltsame Mischung aus Sympathie und Ärger. Alex fragte sich, wie viel sein eigenes Gesicht über seine Gefühle für diese Frau verriet. Nach Jims Reaktion zu urteilen, so gut wie alles.
Jim zeigte mit dem Kinn zur Tür des Frachtbereichs, stand auf und zwängte sich aus dem Wrack. Alex hörte Jims Knie knacken. Als er sich aufsetzte, machte seine Wirbelsäule dasselbe Geräusch. Sein Kopf tat furchtbar weh. Er würde mit Jim reden und dann ein paar Ibuprofen nehmen, bevor er sich das Cockpit vornahm.
Dass seine Hand instinktiv nach der Waffe an seiner Seite tastete, fiel ihm nicht auf.
D REIZEHN
Sheriff Patrick Collins stieg aus seinem
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