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Vereister Sommer

Vereister Sommer

Titel: Vereister Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schacht
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sie, wie alles, beherrschten, aber besonders privaten Geschäftsleuten mit ideologischem Argwohn gegenüberstanden. Das amüsierte die drei besonders im Falle von Läden, die sie schon seit ihrer Kindheit kannten, damals mit den Symbolen der damals herrschenden Einheitspartei im Schaufenster, wie den Lebensmittelhändler Weltzin in der Hegede, bei dem sie in den harten Zeiten hin und wieder eine Tüte »Bielefelder Hausgebäck« gekauft hatten, süßer Luxus, selten genug, das Pfund für sechzig Pfennige. Die erste Reihe seiner Schaufensterauslagen bildeten, wie zusammengerückte Säulen, große Gläser, in denen die farbige Bonbonvielfalt leuchtete, für die er bekannt war: blassrosa Himbeeren, froschgrüne |90| Blätter, Karamellen, dazwischen drei bauchige Glasgefäße, bis unter den Metalldeckel angefüllt mit seidig schimmernden Pfefferminzkissen. Was dann kam, zur Rechten wie zur Linken, war eine Art stufenförmiger Genussmittelaltar aus Weinflaschen, in dessen Mittelpunkt ein Bild Wilhelm Piecks prangte. Auch er, der Staatspräsident, gegen den sie alle irgendwie nichts hatten, weil er so gutmütig wirkte, war umstellt von Flaschen: gefüllt mit Eierlikör, Cognac und Wein. Aber hinter seinem gütigen Großvatergesicht ragte ein mit blauem Tuch bespannter Rahmen empor, auf dem eine Friedenstaube aus schneeweißer Reliefpappe befestigt war. Zwei Flaggen, die rote der Partei und die schwarzrotgoldene des Staates, waren schwungvoll daneben drapiert worden, künstliche Weinreben und Traubenkörbe komplettierten die Inszenierung. Da sah es bei Putschers, dem Fleischereigeschäft in der Lübschen Straße, die während ihrer Abwesenheit in Stalinstraße unbenannt worden war, schon ganz anders aus. Auch hier ging es über Warenterrassen, in diesem Falle aus glänzenden Mettwürsten und prallen geräucherten Schweineschinken mit dunkel schimmernder Schwarte, ins Zentrum des Arrangements: aber kein Pieck und keine Fahnen füllten es aus, vielmehr erhob sich eine Art romanisches Tor aus Talgfett, in dessen offener Mitte eine Glocke aus derselben Materie herabhing, darauf zu lesen waren die Jubiläumszahl der Stadtgeschichte und der Schriftzug »Glocke des Friedens«. Allerdings ragte vor allen Würsten, Schinken und dem Friedenstor aus gehärtetem Schweine- und Rinderfett eine seltsam martialische Skulptur aus drei ineinander verkeilten Fleischerbeilen auf, Schienenstücke hatte man so vor nicht allzu langer Zeit als Panzersperren zusammengeschweißt. »So kann man es doch auch machen«, sagte ihr Schwager leise, aber feixend zu Frau und Schwägerin, er hatte sich schon 1943 in Süditalien den Amerikanern ergeben und seine äußerst komfortable Kriegsgefangenschaft im fernen Texas verbracht, für die Linienführung ihres Fußballfeldes nutzten sie den Maismehlüberschuss, |91| danach hielt er sich, mehr oder weniger freiwillig, noch zwei Jahre in Frankreich auf, wo er in einer Kohlengrube arbeitete und Mitglied einer trotzkistischen Gewerkschaft wurde, und kürzlich war er in die Nationaldemokratische Partei eingetreten, stolz trug er das silberne NDPD-Abzeichen mit den drei senkrecht stehenden Eichenblättern am Revers. Sie aber sagte, begeisterte Fleischesserin seit frühester Zeit und nach Jahren neuerlichen Darbens auch in dieser Hinsicht, ihr laufe das Wasser nur so im Mund zusammen, wenn sie das alles sähe, ein Glück, dass Putschers jetzt zu hätten, sie könnte sich glatt vergessen. Ihre Schwester, die über ein noch loseres Mundwerk verfügte als sie, hatte ihrem Mann mit der spöttischen Bemerkung sekundiert: »Für den Frieden sind wir doch alle, nicht wahr, Kinder?!« Auch sie besaß einen Mitgliedsausweis der Partei ihres Mannes. Im HO-Warenhaus, das früher Karstadt gehörte – und noch immer sagten sie, ich gehe zu Karstadt, wenn sie dort einkaufen wollten –, schwamm eine prächtige Kogge durch ein Wein- und Schnapsflaschen-Meer, Süßwarenladen Rachui glänzte mit einer Flut von Schokoladen, Pralinen, Keksen, Likören und Schnäpsen, ausgebreitet auf Silber- und Goldpapier, aber nicht nur das: In den Mittelpunkt seines Schaufensters hatte er sich ungeniert selbst gestellt, indem zwei Werbetafeln mit seinem Firmennamen eine riesige Blüte aus Konfektschachteln flankierten: »Süßigkeiten von Rachui erfreuen immer«, versprach eine Dame, die verzückt an einer Praline knabberte. Ein mit Lorbeerblättern bekränztes Pieck-Porträt, eine Zeichnung, kein Photo, fand sich zwar auch noch, es war aber

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