Verflixte Hühnersuppe (German Edition)
warnenden Blick zu. In letzter Zeit hatte sie sich wirklich wie meine Mutter aufgeführt.
„Na ja, ich meine auch nicht, dass du erkältet bist oder so etwas“, fuhr Rose fort. „Sieh mal, als du vor vielen Jahren zu uns gekommen bist, hast du genauso ausgesehen wie jetzt. Deine Mutter hat sich inzwischen verändert.“ Sie warf Amarelia einen flüchtigen Blick zu. „Und selbst Bob ist gewachsen – aber du …“
„Ich bin nicht zurückgeblieben, falls du das meinst!“, fuhr ich auf. Wenn Rose gewusst hätte, dass ich alle Bücher in dem kleinen Dorf in- und auswendig kannte! Ich hatte sogar die Bibel gelesen!
„So habe ich das auch nicht gemeint!“, verteidigte sich Rose.
„Du hast sicherlich Recht“, ging Amarelia schnell dazwischen und lächelte Rose zu. Unter dem Tisch gab sie mir einen sachten Stoß ans Schienbein. „Wenn ich morgen die Hühner gefüttert habe, gehe ich mit Nadine in die Stadt zu Dr. Hellingstone. Das wird sicher das Beste sein, nicht wahr, Nadine?“
Ich schluckte und alle sahen mich an. Auch Bobs Vater hatte die Stirn in Falten gelegt, als könne er sich nicht vorstellen, dass der Arzt irgendetwas an meinen „Wachstumsstörungen“ ändern konnte.
Ich wusste es ebenso gut wie Amarelia: So lange ich die Hüterin des Zeichens war, änderte sich nichts an mir. Wir durften nicht länger bleiben. Wir mussten fort von hier, uns irgendwo anders verstecken. Ich sah die Tablebrakers der Reihe nach an und bekam mit einem Mal keinen Bissen mehr herunter. Dieses Abendessen war mein Abschied. Morgen in aller Frühe würden wir aufbrechen und nie wieder zurückkehren. Ich musste fort von diesem Ort, an dem ich mich so richtig wohlgefühlt hatte. Verflixte Hühnersuppe, kannst du verstehen, dass mir später im Dunkeln massenhaft Tränen aus den Augen strömten?
Kapitel 3
oder
Eine Erinnerung, die mir die Beine unterm Po wegzieht
„Du träumst wohl, kleiner Dummkopf?“
Ich fahre hoch. Das Stöckchen, das ich in die Luft geworfen habe, fällt auf den Boden – direkt vor ein Paar abgetretene Lederstiefel. Das Mädchen mit den grünen Augen steht vor mir, die Arme in die Seiten gestemmt. Sie gibt sich alle Mühe, überlegen zu wirken, und da sie mich um einen Kopf überragt, ist das nicht allzu schwer.
„Katzenauge!“, rufe ich überrascht.
So ein Mist, ich habe mich ablenken lassen! Wütend springe ich auf und kicke einen Stein zur Seite. Mit offenen Augen habe ich von meiner Vergangenheit geträumt – eine solche Unachtsamkeit kann du-weißt-schon-was bedeuten!
„Was soll man denn hier sonst tun?“, murre ich, um meinen Ärger auf mich selbst zu kaschieren.
Katzenauge grinst, lehnt sich an die Mauer des Schulgebäudes und zieht ein kleines Stück weißes Papier hervor. Mit der anderen Hand greift sie in eine Tüte, in der sich ein übelriechendes Kraut befindet. Langsam dreht sie sich eine Zigarette. Bestimmt ist das Rauchen auf dem Schulhof verboten, doch Katzenauge stört sich nicht daran.
„Nun, wenn dir langweilig ist, kannste auch in meine Clique rein.“
Ich mustere das Mädchen überrascht. Nie hätte ich vermutet, dass Katzenauge mir ihre Freundschaft anbietet, und einen Moment lang denke ich sogar ernsthaft über ihr Angebot nach. Es kann vorteilhaft sein, nicht in der Schusslinie der Gang zu stehen, aber irgendwo muss ein Haken an ihrem Vorschlag sein, das verrät mein großer Zeh, der gerade heftig zuckt.
„Hab gehört … dass du ein kleiner Streber bist“, nuschelt sie, während sie über das Papier der Zigarette leckt. „Bin in der zehn und leider … sind alles nur Dummbrösel in meiner Klasse. So eine wie dich könnte ich gut brauchen. Musst dich nur um meine Hausaufgaben kümmern und dich hier und da mal ein bisschen … umsehen.“
Aha, da ist er also! Ein richtig fetter Enterhaken! Ich soll Katzenauges persönliche Schulsklavin und -spionin werden? Nee, die kann mich mal kreuzweise!
„Solange du Teddy in Ruhe lässt!“, fügt sie warnend hinzu. Sie hält sich die fertig gedrehte Zigarette unter die Nase und saugt genüsslich die Luft ein. „Das ist mein Freund. Für dich heißt er Ted!“
„Teddy?“ Ich sehe Katzenauges niedriges Fußvolk am Zaun zum Hausmeistergarten herumlümmeln. Rotschopf hat die ganze Zeit zu uns herübergestarrt. Seine weinroten Haare trotzen dem Wind und stehen noch immer wie borstige Igelstacheln ab. „Du meinst die Schuhbürste da drüben?“
Ui, das ist mir einfach rausgerutscht! Aber vielleicht hat sie es ja
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