Verflixtes Blau!
Mädchens. Man gewann immer mehr Farbe aus einem Bild, als hineingeflossen war. Manchmal mochte ein kleines Bild zwei Krüge voller Farbe bringen, besonders wenn es unter großen Opfern, großen Qualen und mit großer Liebe erschaffen worden war, denn auch das gehörte dazu.
Der Farbenmann sang und schabte, bis der Manet nur noch eine leere Leinwand war. Es hatte über eine Stunde gedauert. Er verschloss den Krug und stellte ihn neben die Leinwand.
Das Mädchen entspannte sich ruckartig wie die Feder in einem kosmischen Uhrwerk, bis sie wieder friedlich dalag. Sie schlug die Augen auf, der einzige Teil ihres Körpers, der nicht vom ultramarinblauen Pulver überzogen war– selbst ihr langes, dunkles Haar war voller Farbe, weil der Farbenmann bei der Arbeit daraufgetreten war. Sie drehte sich auf die Seite und sah erst den Farbenmann an, dann die weiße Leinwand.
» Nur ein Krug«, sagte der Farbenmann. Er wickelte sein Glasmesser in einen Lederlappen.
Sie war erschöpft, fühlte sich, als hätte ihr jemand die Lebenskraft genommen, was im Grunde auch der Fall war. » Aber die Farbe reicht für ein Bild?«
» Für viele Bilder«, sagte der Farbenmann. » Es sei denn, sie malen Impasto wie dieser verfluchte Holländer.«
Sie nickte und kam auf die Beine, taumelte, dann fing sie sich. Sie betrachtete Juliette, die sie mit leerer Miene ansah, wie eine Schaufensterpuppe. Bleu hörte Schritte draußen auf dem Treppenabsatz. Bestimmt die neugierige Concierge, angelockt vom Singsang des Farbenmannes, ganz wie sie es erwartet hatte.
» Wollen wir zusammen in die Badewanne?«, sagte der Farbenmann mit begehrlichem Blick auf das Inselmädchen. Sein Lendenschurz war mittlerweile blau und machte einen aufgeweckteren Eindruck als während der Herstellung der Farbe.
» Einen Moment«, sagte sie. Bleu tappte in die Küche, hinterließ blaue Pulverspuren auf dem Parkett. Sie wischte ihre Hände an einem Geschirrtuch ab, dann kam sie ins Wohnzimmer zurück. » Hast du denn Wasser aufgeheizt?«
Der Farbenmann grinste. » Noch bevor wir angefangen haben.« Er legte das Öltuch zusammen, schüttelte den Rest des blauen Pulvers in die Falte, um ihn in einen Krug geben zu können.
» Gut«, sagte sie. » Danach können wir aufräumen.« Sie ging zum Schreibtisch im Foyer, lauschte– ja, die Concierge stand immer noch da draußen–, dann zog sie ein Bündel mit Geldscheinen aus einem der Schreibtischfächer, ging damit zu Juliette und stopfte das Geld in ihren Beutel.
» Dein Hut«, sagte Bleu zur Juliette-Puppe. » Der mit dem schwarzen Chiffon.« Der Hut hing an der Garderobe bei der Tür, und Juliette holte ihn und setzte ihn auf. Als sie sich wieder umdrehte, stellte Bleu gerade den Krug in Juliettes Beutel, obendrauf auf das Geld.
» Perfekt«, sagte Bleu. Sie tappte zum Sofa, griff zwischen die Kissen und holte den Revolver des Farbenmannes hervor. Zu Juliette sagte sie: » Schrei!«
Juliette presste ein klägliches, kleines Quäken hervor.
» Bist du ein Küken oder was?«, sagte Bleu. » Lauter und länger!«
Juliette schrie, viel lauter und länger diesmal.
» Was machst du?«, fragte der Farbenmann.
» Aufräumen«, sagte Bleu. Sie richtete den Revolver auf ihn und schoss. Die Kugel traf ihn in die Brust, und er taumelte nach hinten. Sie schoss noch mal.
» Autsch«, sagte er. Blut sprudelte aus einem Loch in seinem Brustbein.
» Schrei weiter«, sagte sie zu Juliette. Wieder schoss sie, dreimal noch, bis der Farbenmann reglos auf dem Öltuch lag und sein Blut sich im ultramarinblauen Pulver um ihn herum sammelte. Sie spannte den Revolver, richtete ihn auf seinen Kopf und drückte ab. Die Waffe klickte nur.
» Hm. Nur fünf Schuss. Okay, hör auf zu schreien und mach die Tür auf.«
Juliette öffnete die Tür, hinter der die Concierge stand, eine große, strenge Frau, die ins Zimmer starrte, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen.
Und Bleu wechselte in den Körper von Juliette. Das Inselmädchen ließ die Waffe fallen und fing furchtbar an zu kreischen.
» Ich kam gerade aus dem Nebenzimmer, als er sich auf sie stürzte«, sagte Bleu als Juliette. » Das arme Ding musste sich retten. Ich weiß nicht, was er ihr Schreckliches angetan hat. Ich hole einen Polizisten.«
Juliette schob sich an der Concierge vorbei, die Treppe hinunter und in den Pariser Morgen hinaus.
DRITTER TEIL
Amüsiert
Alle diese Formen, wenn sie wirklich künstlerisch sind,
erfüllen ihren Zweck und bilden (auch im ersten
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