Verflixtes Blau!
Falle)
geistige Nahrung.
Wassily Kandinsky,
Über das Geistige in der Kunst
Die Malerei wurde zu seiner einzigen Muse, seiner einzigen Geliebten, seiner einzigen, allumfassenden Leidenschaft… Die Frau war für ihn ein Kunstwerk, anbetungswürdig und dazu geschaffen, den Geist anzuregen, doch widerspenstig und störend, wenn wir ihr gestatten, die Schwelle zu unserem Herzen zu überschreiten, denn sie wird gierig unsere Zeit und unsere Kraft verschlingen.
Charles Baudelaire, zum Tode Delacroix’
23
Wegen Trauerfall geschlossen
A uf dem Schild an der Tür der Galerie Boussod et Valadon stand WEGEN TRAUERFALL GESCHLOSSEN . Die drei Maler standen vor der großen Scheibe und sahen sich die Bilder im Fenster an, darunter eines von Gauguin, das bretonische Frauen mit steifen, weißen Hauben und blauen Kleidern beim Dreschen zeigte, und ein älteres Stillleben, das Lucien von einem Brotkorb gemalt hatte. Zwischen den beiden stand eine von Pissarros Landschaften der Weizenfelder bei Auvers.
» Ich würde mehr Bauernhöfe malen«, sagte Toulouse-Lautrec, » aber die stehen immer so weit weg vom Tresen.«
» Der Brotkorb wird sich nie verkaufen«, sagte Lucien. » Das Bild ist Mist. Meine beste Arbeit ist weg. Einfach weg…«
» Wovon soll ich jetzt leben?«, sagte Gauguin. » Theo war der Einzige, der meine Bilder verkauft hat.«
Als er Gauguins selbstsüchtiges Wehklagen hörte, schämte sich Lucien plötzlich. Theo van Gogh war ein junger Mann gewesen, erst dreiunddreißig Jahre alt. Er war ihnen allen ein Freund und Förderer gewesen. Seine Frau mit dem kleinen Jungen, noch nicht einmal ein Jahr alt, war sicher zu Tode betrübt, und doch jammerten die Maler wie kleine Kätzchen, die man von den Zitzen ihrer Mutter genommen hatte und die sich nur für ihr eigenes Unwohlsein interessierten.
» Vielleicht sollten wir Madame van Gogh einen Besuch abstatten«, sagte Lucien. » Ihr unser Beileid aussprechen. Ich könnte einen Korb mit Brot und Kuchen aus der Bäckerei mitnehmen.«
» Aber ist das nicht zu früh?«, fragte Gauguin, der wie Lucien bemerkte, dass Theo van Gogh nicht gestorben war, um ihm das Leben schwerzumachen. » Lassen wir ein, zwei Tage verstreichen. Wenn ich die Herren zu einem kleinen Darlehen überreden könnte, um mir über die Runden zu helfen.«
» Sie sind hergekommen, um Madame van Gogh um Geld zu bitten?«, fragte Lucien.
» Nein, natürlich nicht. Kurz bevor wir uns im Le Rat Mort begegnet sind, hatte ich gerade erst bei Père Tanguy von Theos Tod erfahren, und ich war einfach…« Gauguin ließ den Kopf hängen. » Ja.«
Lucien klopfte dem älteren Maler auf die Schulter. » Ich kann ein paar Francs entbehren, die Ihnen vielleicht weiterhelfen, bis eine angemessene Zeit vergangen ist. Dann können Sie Madame van Gogh besuchen. Vielleicht findet sich jemand Neues, der die Galerie führt.«
» Nein«, verkündete Henri, der durch die Tür in die Galerie hineingespäht hatte. Er wandte sich zu ihnen um, deutete mit dem Daumen hinter sich und blickte über sein pince-nez hinweg. » Wir besuchen die Witwe jetzt gleich.«
Lucien sah seinen Freund verwundert an. » Ich könnte dir auch ein paar Francs leihen, bis deine Apanage eintrifft.« Dann sah Lucien, worauf Henris Daumen deutete: auf den roten Türrahmen. Dort, genau auf Henris Augenhöhe, befand sich deutlich erkennbar ein einzelner, ultramarinblauer Daumenabdruck– lang, schmal, zart–, der Daumen einer Frau.
Johanna van Gogh öffnete die Wohnungstür, einen Säugling auf dem Arm. » Nein! Nein! Nein!«, rief sie mit ungläubigem Entsetzen. » Nein! Nein! Nein!«
» Madame van Gogh…«, sagte Lucien, doch mehr bekam er nicht heraus, als sie schon die Tür zuknallte.
Toulouse-Lautrec stieß Gauguin an. » Möglicherweise ist das jetzt doch nicht der rechte Augenblick, um Geld zu bitten.«
» Ich hatte gar nicht vor…«, begann Gauguin.
» Was wollen Sie hier?«, rief Madame van Gogh durch die Tür.
» Hier ist Lucien Lessard«, sagte Lucien. » Mein tief empfundenes Mitgefühl für Ihren Verlust. Theo war ein guter Freund. Er hat meine Bilder in der Galerie ausgestellt. Die Herren Gauguin und Toulouse-Lautrec sind ebenfalls Maler, die in der Galerie ausstellen. Wir waren alle bei Vincents Beerdigung. Vielleicht erinnern Sie sich?«
» Der kleine Mann«, sagte Johanna. » Er soll gehen. Theo hat mich beschworen, den kleinen Mann niemals in die Nähe von Vincents Bildern zu lassen. Das waren seine letzten Worte: ›
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