Verflixtes Blau!
vor seinen inquisitorischen Malerkollegen zurück, die– wie es schien– um einiges aufgebrachter reagierten, als es die Situation erforderte.
» Ich war aufgestanden, um mir ein Glas Wasser zu holen, und als ich wieder zum Bett kam, lag sie da.«
» Und das kam Ihnen gar nicht seltsam vor?«, fragte Lucien.
» Oder gelegen?«, fügte Henri hinzu, und über dem Glas seines pince-nez hüpfte eine vorwurfsvolle Augenbraue wie ein staatsanwaltliches Eichhörnchen.
» Es war wie in einem Traum«, rief Gauguin. » Was ist los mit Ihnen?« Er humpelte schneller, um ihnen zu entfliehen, in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
» Dann war sie perfekt?«, fragte Lucien. » Ihrem Ideal nachempfunden?«
Gauguin blieb stehen. » Ja. Genau.«
» Kommen Sie mit«, sagte Henri. » Sie werden einen Cognac brauchen.« Henri führte sie den Block entlang, blieb in einem Eingang stehen, um sein Atelier aufzuschließen, und ließ die beiden herein. Staub schwebte im Licht, das durch die ovale Scheibe in der Tür fiel, wodurch der Raum verlassen wirkte, trotz der Leinwände, die an allen Wänden lehnten. Da waren wohl hundert Skizzen der hageren Tänzerin Jane Avril auf dem Boden verstreut und an die Wände genagelt.
» Soso«, sagte Gauguin. » Jane Avril?«
» Rein berufliches Interesse«, erklärte Toulouse-Lautrec.
» Beruflich?«, fragte Gauguin.
» Sie riecht verdächtig nach Flieder und kann ein Bein hinter den Kopf klemmen, während sie die Marseillaise singt und sich dabei auf dem anderen Bein dreht. Ich fand weitere Studien dringend angezeigt.«
» Unterleibsstudien«, erklärte Lucien.
» Vernarrtheit und ein gewisses Streben nach Unterleibsstudien«, erklärte Henri.
» Verstehe«, sagte Gauguin.
» Setzt euch«, sagte Henri, deutete auf Kaffeetisch und Stühle, die er für solcherart Notfälle bereithielt. Kristallene Schwenker wurden verteilt und Cognac aus einer kristallenen Karaffe eingeschenkt.
» Da lag also ein Mädchen in Ihrem Bett«, sagte Henri. » Und der Farbenmann?«
» Ich erwähnte es bereits«, sagte Gauguin. » Heute früh war ich bei Père Tanguy. Ich kann in seinem Laden auf Rechnung…«
» Nicht Tanguy. Der Farbenmann. Bestimmt hat Vincent Ihnen von ihm erzählt.«
» Der braune, verkrüppelte Bursche, von dem Vincent gelegentlich sprach?«
» Ja«, sagte Lucien. » Genau der.«
» Nein.« Gauguin machte eine Geste, als wollte er Luciens albernes Gerede wegfächeln. » Ich hielt diesen Gnom für ein holländisches Märchen aus seiner Kindheit. Er meinte, der kleine Mann hätte ihn von Paris nach Saint-Rémy und bis nach Arles verfolgt. Er war nicht bei Sinnen.«
» Vincent war sehr wohl bei Sinnen«, sagte Lucien. » Einen solchen Mann gibt es. War da auch ein Mädchen?«
» Ein Mädchen? Sie meinen bei Vincent?«
» Ja, war Vincent mit einer Frau zusammen?«
» Nein. Welche Frau hätte ihn gewollt? Kein Geld, die Hälfte der Zeit im Wahn, die andere Hälfte betrunken und melancholisch.«
» Es könnte sein, dass es nicht so schien, als würde er viel Zeit mit ihr verbringen. Vielleicht hat er ein Modell erwähnt.« Lucien dachte an die zeitlosen Stunden, die er mit Juliette verbracht hatte. Henri und Carmen, Monet und Camille, Renoir und seine Margot– sie alle hatten diese Auflösung der Zeit erlebt, wenn sie allein waren. Vielleicht war es möglich, dass Vincent eine Frau bei sich hatte, ohne dass Gauguin sie je zu Gesicht bekam.
Gauguin trank seinen Weinbrand und schloss die Augen, während er darauf wartete, dass das Brennen verklang. » Vincent malte in Arles Landschaften, Stillleben, die eine oder andere Szene im Café, aber keine Porträts, an die ich mich erinnern würde, bis auf das von mir und ein Selbstporträt. Keine Frauen.«
Lucien ließ nicht locker. » Vielleicht hat er nur beiläufig jemanden erwähnt.«
Gedankenverloren zwirbelte Gauguin an seinem Bart herum, als wollte er eine widerspenstige Erinnerung herauswringen. » Am Tag vor meiner Abreise hatten wir einen furchtbaren Streit. Es begann mit Differenzen über die Farbenlehre. Vincent hatte versucht, ohne Blau zu malen. Eine Weile verwendete er Ultramarin nur, wenn er bei Nacht arbeitete. Er sagte, die Dunkelheit nähme der Farbe das Böse. Es war absurd. Schlimmer noch, als mit Ihnen über Theorie zu diskutieren, Lautrec.«
» Und war da eine Frau?«, rief Henri ihm in Erinnerung. Er schenkte noch mehr Cognac in Gauguins Schwenker.
» Das ist es ja gerade. Vincent wurde richtig gewalttätig,
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