Verflixtes Blau!
Hüte dich vor dem kleinen Mann.‹«
» Das war ein gänzlich anderer kleiner Mann«, sagte Lucien.
» Madame, ich bin nicht klein«, sagte Henri. » Tatsächlich besitze ich bestimmte Körperteile…«
Lucien hielt Henri den Mund zu, wobei er ihm sein pince-nez von der Nase stieß. » Das ist Henri Toulouse-Lautrec, Madame van Gogh, ein enger Freund von Vincent und Theo. Bestimmt hat Theo ihn erwähnt.«
» Ja«, sagte Johanna mit einem leisen Schluchzen in der Stimme. » Aber das war bevor…«
» Er ist wirklich sehr klein«, sagte Gauguin mit leicht gequälter Miene, als er die Trauer in der Stimme der Witwe hörte. » Vergebt uns, Madame, es ist zu früh. Wir werden Euch zu einem späteren Zeitpunkt unsere Aufwartung machen.« Gauguin wandte sich um und ging den Flur entlang zur Treppe.
Henri entwand sich Luciens Griff, wobei er seinen Hut verlor. » Mein tiefstes Beileid«, sagte er und warf Lucien einen bösen Blick zu, während er sein Revers ordnete. » Ich versichere Ihnen, dass ich nicht die Person bin, auf die sich Ihr Mann bezog. Gott sei mit Ihnen, Madame.« Er machte kehrt und folgte Gauguin.
Lucien konnte hören, dass Madame van Gogh hinter der Tür mit ihrem Kind flüsterte.
» Wir kommen ein andermal wieder«, sagte Lucien. » Verzeihen Sie, Madame.« Gerade wollte er sich auf den Weg machen, da stutzte er, weil er hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
» Monsieur Lessard. Warten Sie!«
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Madame van Gogh schob einen kleinen Pappumschlag hindurch, gerade groß genug für einen Ring oder einen Schlüssel. » Ein Mädchen war hier, heute am frühen Morgen, und hat das für Sie abgegeben.«
Lucien nahm den Umschlag entgegen und spürte, wie ihn dabei eine gänzlich ungerechtfertigte Euphorie ergriff. Juliette? Wieso? Und wie?
» Ein Mädchen?«, sagte er.
» Ein junges, tahitisches Mädchen«, sagte Madame van Gogh. » Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen.«
» Aber wieso?«
» Ich weiß nicht, Monsieur Lessard. Der Arzt war da, mein Mann starb. In dem Moment wusste ich nicht einmal, wer Sie sind. Jetzt bitte… nehmen Sie und gehen Sie.«
» Madame, eines noch. Hat der Arzt etwas Genaueres über seine Erkrankung gesagt?«
» Er sprach von einer Dementia paralytica«, sagte Madame van Gogh und drückte leise die Tür ins Schloss.
» Merci, Madame.«
Lucien riss den Umschlag auf und schüttete den Inhalt in seine offene Hand: eine schmale Farbtube, fast gänzlich aufgebraucht, und ein kleiner, gefalteter Zettel. Er spürte eine Berührung an seiner Schulter und sah Gauguin hinter sich stehen, der ihm die Hand hinhielt.
» Ich denke, das gehört mir«, sagte Gauguin.
» Denken ist Glückssache«, sagte Lucien.
In diesem Moment schlug Henri Toulouse-Lautrec mit einigem Kraftaufwand und nicht unerheblichem Vergnügen den schweren Knauf seines Gehstocks gegen Gauguins Schienbein.
» En garde!«, sagte der Graf.
Es dauerte eine Weile, bis Gauguin in der Lage war, sich zu seinen Künstlerkollegen draußen auf dem Bürgersteig zu gesellen.
» Ich glaube, der Knochen ist gesplittert«, sagte Gauguin. Sie liefen die Rue Caulaincourt entlang zu Toulouse-Lautrecs Atelier, zwei von dreien hinkend, einer betont leidend.
Henri sagte: » Wissen Sie, für einen Mann von dreiundvierzig Jahren hüpfen Sie erstaunlich gut auf einem Bein die Treppen hinunter.«
» Dafür werden Sie bezahlen, Lautrec«, sagte Gauguin. Zu Lucien sagte er: » Dieser Umschlag gehört mir.«
Lucien hielt den Umschlag hoch, um zu zeigen, was darauf geschrieben stand. » Obwohl hier mein Name steht und Madame van Gogh sagte, dass das Mädchen ihn für mich abgegeben hat, gehört er Ihnen?«
» Ja, ich kenne das Mädchen, das ihn abgegeben hat.«
» Sie kennen sie? Irgendeine Polynesierin? Und Sie kennen sie?«
» Ja, sie meinte, sie wollte mir Farbe bringen, und da war doch eine Farbtube in dem Umschlag, oder nicht?«
Henri blieb stehen, hielt Gauguin am Ärmel seines Brokatjacketts fest und riss ihn beinah herum. » Moment mal, woher kennen Sie dieses Mädchen?«
Gauguin befreite seinen Ärmel. » Ich kenne sie eben.«
» Wo sind Sie ihr begegnet?«
» Ich habe sie erst kürzlich kennengelernt.«
» Erst kürzlich wo? Unter welchen Umständen?«
Gauguin sah sich um, als suchte er am Himmel nach Antwort. » Möglicherweise ist sie letzte Nacht in meinem Bett erschienen.«
» Erschienen?« Lucien ragte über Gauguin auf, sodass er beinah bedrohlich wirkte.
Gauguin wich
Weitere Kostenlose Bücher