Verflixtes Blau!
es sein Atelier.«
» Das sehe ich… der kleine Troll in seiner Höhle, non?«
Sie war stehen geblieben, um ein paar Leinwände zu begutachten, die bei der Tür an der Wand lehnten.
» Sag so was nicht. Henri ist mir ein guter Freund. Wenn er nicht wäre, könnte ich mir kein Atelier leisten.«
» Ist das eines von Henris Bildern?« Sie bückte sich und hielt die Leinwand am oberen Rand, auf Armeslänge. Es war das Bild einer rothaarigen Frau, die aus einem Fenster blickte, in schlichter, weißer Bluse und schwarzem Rock.
» Das ist Carmen, Henris Wäscherin.«
» Sie sieht traurig aus.«
» Ich kannte sie nicht gut. Henri meinte, er wollte zeigen, wie stark sie war. Erschöpft und doch stark.«
» Ist sie nicht mehr da?«
» Henri hat sie weggeschickt. Nun… wir haben ihn mit Hilfe seiner Mutter davon überzeugt, sie zu verlassen. Da ist sie gegangen.«
» Traurig«, sagte Juliette. » Aber wenigstens hatte sie ein Fenster, aus dem sie rausgucken konnte.«
Henri stieg hinauf in den ersten Stock zu seiner Wohnung. Die Dienstmagd war da gewesen, und es standen frische Blumen auf dem Tisch. Er hängte Mantel und Hut an die Garderobe bei der Tür und trat unmittelbar an seinen Schreibtisch. Seine Hand zitterte, sei es vom Suff oder weil er dem Farbenmann begegnet war oder beides. Wie dem auch sei, da konnte nur ein Cognac helfen, also schenkte er sich einen aus der Karaffe ein, dann setzte er sich und nahm aus der Schublade den letzten Brief, den er von Vincent bekommen hatte.
Mein lieber Henri,
ganz wie Du gesagt hast, ist das südliche Klima dem Malen unter freiem Himmel ausgesprochen förderlich, und die Farben der Hügel einzufangen, fordert nicht nur mein Können heraus, sondern treibt mich an, noch härter zu arbeiten. Doch sind es die Farben, die meinen Fortschritt zu behindern scheinen, und meine Beschwerden haben noch zugenommen, seit ich hier bin. Was ich mir als Flucht vor dem Irrsinn des rastlosen Paris erhofft hatte, und vor den anderen negativen Einflüssen, die meine Gesundheit gefährdeten, war alles andere als eine Flucht. Er ist hier, Henri. Der kleine, braune Farbenmann ist hier in Arles. Und selbst wenn ich ihm sage, dass er verschwinden soll, ertappe ich mich doch dabei, dass ich seine Farben verwende, und meine Absencen nehmen zu. Ganze Tage gehen mir verloren, und dann finde ich in meinem Zimmer Bilder vor, die gemalt zu haben, ich mich nicht erinnern kann.
Leute im Wirtshaus, in dem ich gelegentlich zu Abend esse, erzählen mir, ich sei dort gewesen, betrunken am helllichten Tag, aber ich schwöre, mir geht die Zeit nicht etwa verloren, weil ich zu viel trinke.
Theo hat mir geschrieben, ich soll die Farben sein lassen und mir meine Zeichnungen vornehmen. Ich habe ihm nichts vom Farbenmann erzählt und auch nichts von dem Mädchen, da ich nicht möchte, dass er sich Sorgen macht. Du, mein Freund, bist der Einzige, dem ich mich anvertraue, und ich danke Dir dafür, dass Du mich nicht für verrückt erklärst. Ich hoffe, dass Dich Deine eigenen Probleme diesbezüglich nicht mehr quälen und dass Deine Arbeit gut vorangeht. Theo sagt, er hat zwei Deiner Bilder verkauft, und ich freue mich für Dich. Vielleicht habe ich – als ich hierherkam – die Krankheit aus Paris mitgenommen, und Du kannst nun in Frieden arbeiten.
Noch immer hoffe ich, ein Atelier gleichgesinnter Maler hier im Süden einzurichten. Theo will Gauguin überreden, dass er sich zu mir gesellt, und es sieht so aus, als wollte er tatsächlich kommen. Vielleicht ist es nur Einbildung, ein Symptom meiner Krankheit, dass ich den Farbenmann für gefährlich halte. Schließlich sind seine Farben fein und preiswert. Vielleicht denke ich zu viel. Ich will versuchen auszuharren. Seltsamerweise finde ich mich besser, wenn ich nachts arbeite. Ich habe ein Bild des hiesigen Straßencafés beendet, und den Innenraum einer Bar, in der ich mir manchmal die Zeit vertreibe, und die ich beide mag, und ich hatte beim Malen keinerlei Anwandlungen. Ich hoffe, Theo die Bilder schicken zu können, sobald sie trocken sind.
Noch einmal Dank für Deinen Rat, Henri. Ich hoffe, ich werde Deinem geliebten Süden gerecht. Auf ein baldiges Wiedersehen.
Ich reiche Dir die Hand,
Vincent
PS : Wenn Du dem Farbenmann begegnest, flieh! Flieh! Du bist zu begabt und von Deiner Konstitution her zu zerbrechlich, um durchzuhalten. Ich bin nicht verrückt. Du musst mir glauben.
Armer Vincent. Vielleicht war er tatsächlich nicht verrückt. Wenn ihm der
Weitere Kostenlose Bücher