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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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Luciens erste Begegnung mit dem Blau.

4
    Pentimento
    1890
    I ch mag Männer mit ausgeprägten Ohrmuscheln«, sagte Juliette. Sie hielt Lucien bei den Ohren und zerrte seinen Kopf hin und her, als wollte sie sicherstellen, dass sie auch ordentlich befestigt waren. » Symmetrie. Ich mag Symmetrie.«
    » Hör auf, Juliette. Lass los. Die Leute gucken schon.«
    Sie saßen auf einer Bank gegenüber vom Cabaret Lapin Agile, hinter ihnen ein kleiner Weinberg, unterhalb von ihnen die Stadt Paris. Sie waren die Rue des Abbesses hinaufgestiegen, blickten einander unablässig in die Augen, und obwohl der Tag warm und der Weg steil war, keuchten sie weder, noch schwitzten sie, als hätten sie die einzige kühle Brise dieses Nachmittags für sich gepachtet.
    » Na gut«, sagte Juliette und wandte sich von ihm ab, um zu schmollen. Sie öffnete ihren Sonnenschirm, stach ihm beinah eine Strebe ins Auge, dann ließ sie die Schultern hängen und betrachtete Paris mit vorgeschobener Unterlippe. » Ich liebe deine Ohren nun mal.«
    » Und ich liebe deine Ohren«, hörte Lucien sich sagen, und obwohl es stimmte, überlegte er, wieso er es sagte. Ja, er liebte ihre Ohren, er liebte ihre Augen, so frisch und leuchtend blau wie der Mantel der Jungfrau Maria. Er liebte ihre Lippen, keck und zart, einfach zum Küssen. Er liebte sie. Und dann– als sie auf die Stadt hinunterblickte und ihn nicht direkt ansah– rutschte ihm die Frage heraus, die ihm schon den ganzen Nachmittag durch den Kopf ging, doch stets von seinem Entzücken für sie vertrieben wurde.
    » Juliette, wo, zum Teufel, bist du gewesen?«
    » Gen Süden«, sagte sie mit starrem Blick auf Eiffels neuen Turm. » Er ist größer geworden, als ich gedacht hätte.« Der Turm war kaum drei Stockwerke hoch gewesen, als sie sich in Luft aufgelöst hatte.
    » Gen Süden? Gen Süden? Gen Süden ist keine Antwort nach zweieinhalb Jahren ohne Nachricht.«
    » Und gen Westen«, sagte sie. » Daneben wirken die Kathedralen und Paläste wie Puppenstuben.«
    » Zweieinhalb Jahre! Nichts als ein Zettel, auf dem stand: Ich komme wieder.«
    » Und da bin ich«, sagte sie. » Ich frage mich, wieso sie ihn nicht blau angemalt haben. Blau wäre hübsch gewesen.«
    » Ich habe dich überall gesucht. Niemand wusste, wo du warst. Monatelang haben sie dir deine Stelle im Hutladen freigehalten und auf dich gewartet.« Sie hatte als Putzmacherin gearbeitet und Hüte für feine Damen genäht, bevor sie weggegangen war.
    Jetzt wandte sie sich zu ihm um, kam ganz nah heran und versteckte sich und ihn hinter dem Sonnenschirm, dann küsste sie ihn, und als er eben bemerkte, dass ihm schwindlig wurde, beendete sie den Kuss und grinste. Er lächelte sie an, vergaß einen Moment, wie wütend er war. Dann fiel es ihm wieder ein, und sein Lächeln erstarb. Sie leckte mit der Zungenspitze über seine Oberlippe, dann stieß sie ihn von sich und lachte.
    » Sei mir nicht gram, Liebster. Ich hatte zu tun. Familienangelegenheiten. Private Dinge. Jetzt bin ich wieder da, und du bist mein Ein und Alles.«
    » Du hast gesagt, du bist ein Waisenkind, du hast keine Familie.«
    » Das war dann wohl gelogen, oder?«
    » War es?«
    » Möglich. Lucien, gehen wir in dein Atelier. Ich möchte, dass du mich malst.«
    » Du hast mir wehgetan«, sagte Lucien. » Du hast mir das Herz gebrochen. Der Schmerz war so schlimm, dass ich dachte, ich müsste sterben. Monatelang habe ich nicht gemalt. Ich habe nicht gebadet. Ich habe das Brot verbrennen lassen.«
    » Wirklich?« Ihre Augen leuchteten wie die eines Kindes, wenn Régine in der boulangerie das frische Gebäck auslegte.
    » Ja, wirklich. Frag nicht so hämisch.«
    » Lucien, ich möchte, dass du mich malst.«
    » Nein, ich kann nicht. Gerade erst ist ein Freund gestorben. Ich sollte mich um Henri kümmern und mit Pissarro und Seurat sprechen. Außerdem muss ich für Willettes Zeitschrift La Vache Enragée eine Karikatur zeichnen.« Im Grunde wollte er viel lieber dableiben und ihr erzählen, wie sehr sie ihm wehgetan hatte, aber sie sollte leiden. » Du kannst nicht so einfach an irgendeiner Straßenecke auftauchen und wieder in mein Leben treten und erwarten… was hast du eigentlich mitten am Tag auf der Avenue de Clichy gemacht? Deine Arbeitsstelle…«
    » Ich möchte, dass du mich nackt malst«, sagte sie.
    » Oh«, sagte er.
    » Ich meine, deine Socken kannst du anbehalten, wenn du möchtest.« Sie grinste. » Aber ansonsten: nackt.«
    » Oh«, sagte er. Sein Gehirn hatte

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