Verflixtes Blau!
kurz ausgesetzt, als sie sagte, er solle sie nackt malen.
Er wollte ihr unbedingt böse sein, aber irgendwie war er zu der Überzeugung gelangt, dass Frauen wundersame, mysteriöse, magische Wesen waren, denen man nicht nur mit Respekt, sondern auch mit Verehrung und sogar Ehrfurcht begegnen sollte. Vielleicht lag es an dem, was seine Mutter früher oft zu ihm gesagt hatte. Sie sagte: » Lucien, Frauen sind wundersame, mysteriöse und magische Wesen, denen man nicht nur mit Respekt, sondern auch mit Verehrung und sogar Ehrfurcht begegnen sollte. Jetzt geh und feg die Treppe.«
» Mysteriös und magisch«, wiederholten seine Schwestern dann im Chor und nickten, wobei Marie ihm für gewöhnlich den Besen reichte.
Magisch und mysteriös. Nun, für Juliette galt das allemal.
Aber sein Vater hatte ihm erklärt, dass Frauen außerdem grausame und selbstsüchtige Furien waren, die einem Mann früher oder später das Herz aus dem Leib rissen und darüber lachten, während sie sich die Fingernägel feilten. » Grausam und selbstsüchtig«, sagten seine Schwestern und nickten. Dann klaute ihm Régine sein letztes Stückchen Kuchen vom Teller.
Auch das galt für Juliette.
Wie sein Lehrer Renoir ihm erklärt hatte: » Alle Frauen sind gleich. Ein Mann muss nur die Richtige finden und sie heiraten, um alle Frauen dieser Welt zu besitzen.«
Das war sie, Juliette. Für ihn war sie alle Frauen dieser Welt. Er war schon früher mit Mädchen zusammen und sogar verliebt gewesen, aber sie hatte ihn überwältigt, mitgerissen wie eine Woge im Sturm.
» Doch selbst wenn du die Richtige gefunden hast«, fuhr Renoir fort, » bedeutet das keineswegs, dass du sie nicht alle nackt sehen möchtest. Der Anblick hübscher Brüste lässt keinen gesunden Mann unberührt.«
» Ich habe keine Farben. Ich habe keine Leinwand für ein Bild von solcher Größe«, sagte Lucien.
» Welche Größe, cher?« Sie lächelte kokett.
» Nun, ich glaube, es müsste eine große Leinwand sein.«
» Etwa, weil ich eine große Frau bin? Willst du mir das damit sagen?« Sie tat, als sei sie gekränkt.
» Nein, weil meine Gefühle für dich darauf passen müssen«, sagte der Maler.
» Ach, Lucien, das war die richtige Antwort.« Und sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, dann klappte sie den Sonnenschirm zu und sprang auf wie ein Soldat zum Appell. » Komm, wir besorgen dir Farbe. Ich kenne einen Händler.«
Wie war das passiert? Lucien stand auf und stolperte hinter ihr her. » Ich habe immer noch so viele Fragen an dich, Juliette. Ich bin dir immer noch böse, weißt du?«
» Das weiß ich doch. Unter Umständen zeige ich dir eine befriedigende Methode, um Dampf abzulassen, hm?«
» Ich weiß nicht, was das heißen soll«, sagte Lucien.
» Das wirst du schon noch merken«, sagte sie. Ja, er ist der Richtige, dachte sie.
Auf der Avenue de Clichy hatte sich währenddessen Toulouse-Lautrec dem Farbenmann genähert.
» Bonjour, Monsieur«, sagte dieser. » Ihr seid Maler, non?«
» Das stimmt«, sagte Toulouse-Lautrec.
Als er zwölf Jahre alt war, hatte Henris Mutter ihn nach Italien mitgenommen, und in den Uffizien von Florenz stand er vor einem Gemälde der Heiligen Jungfrau von Tintoretto, auf dem dunkle, geisterhafte Gesichter am Himmel zu schweben schienen, kaum zu erkennen, doch dem eifrigen, jungen Künstler fielen sie unwillkürlich auf.
» Man nennt diesen Effekt Pentimento«, sagte der Führer, den seine Mutter engagiert hatte. » Der Meister hat ein anderes Gemälde übermalt, und im Laufe der Jahre kommt es langsam wieder durch. Es ist nicht deutlich zu erkennen, aber man sieht, dass da vorher etwas war, das nicht dorthin gehört.«
Als er den Farbenmann entdeckte, hatte Henri gespürt, wie ein düsteres Pentimento in ihm aufstieg, und irgendwie hatte es ihn über die Straße gelockt.
» Braucht Ihr vielleicht Farbe?«, fragte der Mann. Er klopfte an den Holzkoffer, den er bei sich trug, groß genug, wie Henri bemerkte, dass er selbst hineinpassen mochte, ohne sich sonderlich verrenken oder verstümmeln zu müssen.
Er war kleiner als Henri und auf eine Art und Weise verbogen, die in Henri die Vorstellung weckte, jemand habe ihn möglicherweise mit einem Ladestock in diesen Koffer gestopft, ohne auf Komfort oder Unversehrtheit seiner Gliedmaßen Rücksicht zu nehmen. Der Maler empfand eine traurige Verbundenheit mit dem Farbenmann, obgleich sich ihm wegen irgendetwas lang Vergessenem vor Unbehagen die Nackenhaare sträubten.
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