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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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und obwohl Henri ein kränkliches Kind gewesen war, hatte er sich doch oft an Tiere herangepirscht. Er wusste, dass es dumm war, jemandem allzu nah zu folgen, also ließ er seiner Beute zwei Blocks Vorsprung, bevor er hinterherhumpelte. Glücklicherweise führte ihr Weg bergab, und so konnte er leicht Schritt halten, obwohl sie nirgends trödelte oder an einem Stand oder einer Bude stehen blieb, wie es die meisten Ladenmädchen taten, die sich auf dem Heimweg von der Arbeit auf den Bürgersteigen drängten.
    Sie kam direkt an seinem Atelier an der Rue Caulaincourt vorbei, und Henri fühlte sich versucht, kurz hineinzugehen und sich mit einem Cognac zu erfrischen, bevor er weiterlief oder– noch wahrscheinlicher– nicht weiterlief und seinen Abend im Moulin Rouge beendete. Doch er rang den Drang nieder und folgte ihr um den Friedhof des Montmartre herum ins 17. Arrondissement zu einem Viertel, das als Quartier des Batignolles bekannt war. Es handelte sich um einen von Haussmanns neuen Stadtteilen, mit breiten Boulevards und genormten Häusern, sechs Stockwerke hoch, mit Mansardendächern und Balkonen im ersten und im obersten Stock. Sauber, modern und frei von Schmutz und Elend, die das alte Paris und somit auch den Montmartre kennzeichneten.
    Als sie etwa zwanzig Blocks südwestlich gelaufen waren, Henri meist keuchend und hechelnd, um Schritt zu halten, bog das Mädchen abrupt von der Rue Legendre in eine Seitenstraße ein, die Henri nicht kannte. Eilig hastete er zur Ecke, so schnell wie seine schmerzenden Beine ihn tragen wollten, damit er das Mädchen nicht verlor, und stieß beinah mit einer jungen Dienstmagd zusammen, die ihm entgegenkam. Henri bat um Verzeihung, dann nahm er seinen Hut ab und spähte um die Ecke. Juliette stand keine drei Meter entfernt. Hinter ihr der kleine Farbenmann.
    » War das unser Dienstmädchen?«, fragte Juliette.
    » Ein Versehen«, sagte der Farbenmann. » Ließ sich nicht vermeiden.«
    » Hast du diese auch verschreckt?«
    » Penis«, erklärte er.
    » Nun, dafür gibt es wirklich keine Entschuldigung, oder?«
    » Ein Versehen.«
    » Man kann nicht aus Versehen jemanden penisieren. Ich will hoffen, dass sie Abendessen gemacht und mir ein Bad eingelassen hat, bevor du sie verschrecken musstest. Ich bin müde und fahre morgen mit Lucien nach London, wo ich ihn in jedem Winkel in Kensington poppen werde.«
    » Wie poppt man jemanden in den Kensington?«
    Sie knurrte etwas in einer Sprache, die Henri nicht verstand, schloss das Tor auf und führte den Farbenmann die Treppe hinauf. Henri trat um die Ecke und sah, wie sich das Tor hinter ihnen schloss.
    So war das also. Sie hatte tatsächlich mit Vincents kleinem Farbenmann zu tun. Aber was? Vielleicht war er ihr Vater? Morgen. Morgen würde er es herausfinden. Jetzt musste er wieder auf den Hügel, um sich mit Lucien im Chat Noir zu treffen. Er hinkte zur Avenue de Clichy und einem Droschkenstand, dann ließ er sich den Hügel hinaufkutschieren.
    Bis fast zehn Uhr wartete er im Chat Noir auf Lucien, und als der Bäcker nicht kam, machte er sich auf den Weg zum Moulin Rouge, wo er trank und die Tänzerinnen zeichnete, bis jemand– er meinte, es könnte die Clownfrau La Goulue gewesen sein– ihn in eine Droschke verfrachtete und nach Hause schickte.
    Am nächsten Morgen, zu einer Uhrzeit, die Henri als unmenschlich erachtete, kauerte er in einer Gasse abseits der Avenue de Clichy, mit tragbarer Staffelei, Farbkasten und Klapphocker, und wartete darauf, dass das Mädchen vorbeikam. Alle paar Minuten brachte ihm ein Junge, den er angeheuert hatte, einen Espresso aus dem Café um die Ecke, und er schenkte einen Schluck Cognac in die Tasse, dann verscheuchte er den Jungen und nahm wieder seinen Posten ein. Die Pirsch dauerte bereits drei Espressi und eine Zigarre, als er Juliette entdeckte, die gerade um die Ecke bog, in einem schlichten, schwarzen Kleid mit Sonnenschirm und einem Hut, verziert mit schillernden, schwarzen Federn und einem rauchfarbenen Chiffon-Tuch, welches beim Gehen hinter ihr herwehte. Selbst auf die Entfernung waren ihre blauen Augen betörend, umgeben von all der schwarzen Seide und der weißen Haut, und er fühlte sich an Renoirs lebhafte, blauäugige Schönheiten erinnert, von den Farben her, wenn sie auch nichts von deren Sanftmut besaßen, zumindest nicht hier auf der Straße. Gestern, in Luciens Atelier, nun, da hatten sie einen erheblich sanftmütigeren Eindruck gemacht.
    Er duckte sich in die Gasse und

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