Verflixtes Blau!
Wohin er fährt, weiß ich nicht.«
» Du willst ihn einfach ziehen lassen?«
» Ich habe jemand anderen im Sinn«, sagte sie.
» Wie denn? Wer willst du für ihn sein?«
» Das ist das Beste daran: Er ist Jo bereits verfallen.« Sie deutete einen Hofknicks an, als stellte sie sich vor. » Ich muss mir nicht mal andere Schuhe anziehen.«
» Klingt heikel«, sagte der Farbenmann. » Lass uns erst den einen aufbrauchen.«
» Nein, Courbet ist sehr talentiert. Ein großer Maler.«
» Das sagst du immer.«
» Vielleicht stimmt es ja auch immer«, sagte sie.
Sie fuhren nach Frankreich, sie fanden Gustave Courbet bei der Arbeit in der Provence, wo es warm war, was den Farbenmann glücklich machte. Jo würde in den folgenden zehn Jahren immer wieder Courbets Geliebte und Modell sein, woraufhin der Mann, den man einst als Frankreichs größten Maler bezeichnet hatte, ins Schweizer Exil ging und sich dort einsam und mittellos zu Tode trank.
» Siehst du?«, würde der Farbenmann sagen. » Das hätte auch dieser elende Whistler sein können. Den hätten wir einfach an einen Bernhardiner verfüttert.«
Der Farbenmann hatte Whistler nie so richtig gemocht.
10
Rettung
G raf Henri Raymond Marie de Toulouse-Lautrec-Monfa platzte ins Zimmer herein, zückte seine Waffe und rief: » Madame, ich verlange die Auslieferung dieses Mannes, im Namen Frankreichs, der Boulangerie du Montmartre und Jea nn e d’Arc!«
Eilig bedeckte sich Juliette mit ihrem Umhang. Lucien blickte von seiner Leinwand auf, seinen Pinsel in der Hand, den Arm ausgestreckt.
» Ist das dein Ernst, Henri? › Jeanne d’Arc‹?«
» Nun, schließlich haben wir keinen König mehr.«
Juliette sagte: » Warum schwenkt er dieses Schnapsglas vor meiner Nase?«
» Mist, blöder«, sagte Toulouse-Lautrec. Statt seines Schwertstocks hatte er den Flaschenstock genommen, in dem sich Cognac und ein kleines Glas verbargen (Ein feiner Herr trinkt nicht direkt aus seinem Gehstock.), für die Besuche bei seiner Mutter, und tatsächlich wedelte er mit einem kristallenen Schnapsglas vor dem nackten Mädchen herum.
» Weil in meinen Stock kein Cognacschwenker passt«, sagte er schließlich, als erkläre das alles.
» Ich dachte, du bist bei deiner Mutter in Malromé.«
» War ich auch. Aber ich bin heimgekehrt, um dich zu retten!«
» Nun, das ist ausgesprochen aufmerksam von dir.«
» Du hast dir einen Bart stehen lassen.«
Lucien rieb über sein Kinn. » Ich habe nur aufgehört, mich zu rasieren.«
» Und hast du auch aufgehört zu essen?« Lucien war schon immer dünn gewesen, doch jetzt sah er aus, als hätte er den ganzen Monat, den Henri fort gewesen war, nichts zu sich genommen. Entsprechendes hatte Luciens Schwester in ihrem Brief nach Malromé geschrieben:
Monsieur Toulouse-Lautrec, er backt kein Brot mehr. Er will weder auf mich noch auf meine Mutter hören. Und Gilles, meinen Mann, hat er körperlich bedroht, als dieser helfen wollte. Jeden Morgen schließt er sich mit dieser Frau im Atelier ein, schleppt sich abends zur Hintertür hinaus und verschwindet durch die Gasse, ohne seiner Familie auch nur so etwas wie bonjour zu sagen. Er tönt von seiner Pflicht als Künstler und lässt nicht mit sich reden. Vielleicht hört er auf einen anderen Künstler. Monsieur Renoir weilt in Aix, zu Besuch bei Cézanne. Monsieur Pissarro ist in Auvers, und Monsieur Monet scheint Giverny nie zu verlassen. Bitte, helft mir! Ich kenne keine anderen Maler auf dem Hügel, und Mutter sagt, das sind sowieso alles nutzlose Tagediebe und könnten ihm nicht helfen. Ich bin nicht ihrer Ansicht, da ich Euch als gutherzigen, nützlichen Tagedieb und insgesamt äußerst charmanten, kleinen Herrn kennengelernt habe. Ich flehe Euch an herzukommen und mir zu helfen, meinen Bruder vor dieser schrecklichen Frau zu retten.
Grüße,
Régine Robelard
» Kannst du dich noch an Juliette erinnern, von früher?«, sagte Lucien.
» Du meinst, früher– bevor sie dein Leben zerstört und dich als beklagenswertes Wrack zurückgelassen hat? Davor?«
» Davor«, sagte Lucien.
» Ja.« Henri tippte mit dem Schnapsglas an seinen Hut, wobei er sich inzwischen etwas albern vorkam. » Enchanté, Mademoiselle.«
» Monsieur Toulouse-Lautrec«, sagte Juliette, behielt ihre Pose bei und ließ das Seidentuch fallen, um ihm die Hand zu reichen.
» Mon dieu«, sagte Henri. Er sah über seine Schulter hinweg zu Lucien, dann wieder zu Juliette, die lächelte, gelassen, fast selig, und keineswegs
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