Verflixtes Blau!
drückte seine Zigarre an den Mauersteinen aus, dann presste er sich an die Wand. Als Junge hatte er mit seinem Vater hinter Jagdschirmen gehockt, auf ihrem Anwesen außerhalb von Albi, und wenn er die meiste Zeit auch damit zubrachte, die Bäume, die Tiere und die anderen Jäger zu skizzieren, hatte ihm der Graf doch beigebracht, dass Regungslosigkeit und Geduld für eine Jagd ebenso unerlässlich sein konnten wie die Lautlosigkeit und Behändigkeit des Anschleichens. » Wenn du still genug sitzt«, sagte sein Vater dann, » wirst du Teil deiner Umgebung, für deine Beute unsichtbar.«
» Bonjour, Monsieur Henri«, rief Juliette, als sie an ihm vorüberging.
Schönen Dank, Herr Graf – inzüchtiger, exzentrischer Geisteskranker, dachte Henri.
» Bonjour, Mademoiselle Juliette«, rief er zurück. » Sagen Sie Lucien, dass ich gestern Abend auf ihn gewartet habe.«
» Das will ich tun. Verzeihen Sie ihm, er hatte einen anstrengenden Tag. Sicher tut es ihm leid, dass er Sie verpasst hat.«
Er blickte ihr nach, wie sie vom Strom der Menschen auf dem Boulevard mitgerissen wurde, winkte dem Kaffeejungen, dem er die Staffelei, den Hocker und den Farbenkasten auflud.
» Mir nach, Hauptmann, wir ziehen gen Austerlitz!«
Der Junge klapperte hinter ihm her, ließ die Beine der Staffelei über den Boden schleifen und stolperte dabei fast über den Hocker und den Farbkasten. » Aber, Monsieur, ich bin gar kein Hauptmann, und ich darf nicht nach Austerlitz. Ich muss doch zur Schule!«
» Es ist nur so eine Redewendung, junger Mann. Das Einzige, was du wissen musst, ist, dass du für deine Bemühungen fünfundzwanzig Centimes erhalten wirst, vorausgesetzt, du lässt meinen armen Farbenkasten nicht auf das Kopfsteinpflaster fallen.«
Nach ein paar Blocks führte Henri den Jungen die Straße hinunter, in die er am Abend zuvor Juliette gefolgt war, dann bezahlte er ihn und baute seine Staffelei auf dem Gehweg gegenüber ihres Hauses auf. Da kam ihm in den Sinn, dass er, wenn er denn so tun wollte, als male er, auch würde malen müssen. Sollte der Farbenmann herauskommen, nachdem er ihn eine Weile aus seinem Fenster beobachtet hatte, musste auf dem Bild etwas zu sehen sein.
Er hatte nur eine kleine Leinwand dabei. Somit befand er sich in einem gewissen Dilemma. Er hatte noch nicht sonderlich oft plein air gemalt, doch Monet, der Meister dieser Technik, sagte, kein vernünftiger Maler solle länger als eine Stunde am Stück draußen am selben Bild arbeiten, es sei denn, er wolle Licht malen, das längst nicht mehr da war. Auch jetzt hatte der Meister vermutlich in Giverny oder Rouen ein Dutzend Leinwände auf ein Dutzend Staffeleien gestellt und ging von einer zur nächsten, während sich das Licht veränderte, wobei er auf jedem Bild genau dasselbe Objekt malte, aus genau demselben Blickwinkel. Wer glaubte, er malte Heuhaufen oder eine Kathedrale, wäre in Monets Augen sicher ein Dummkopf. » Ich male Momente. Unwiederholbare, einzigartige Momente des Lichts«, sagte er dann.
Henri hatte Glück, dass diese kleine Straße den Eindruck machte, als hätte sie nur einen einzigen, unerträglich trüben Moment zu bieten. Obwohl sie kaum zwei Blocks von der geschäftigen Avenue de Clichy entfernt war, hätte sie doch auch in einer Geisterstadt liegen können. Hier gab es nicht einmal die obligatorische Alte mit dem krummen Rücken, die vor ihrer Haustür fegte, was– wie er vermutete– in Paris Vorschrift war. Eine Hure, ein scheißender Hund oder eine fegende Alte– mindestens eines davon war gesetzlich vorgeschrieben. Ihm würde der Cognac ausgehen, bevor ihm die Leinwand ausging, es sei denn, es passierte etwas Außergewöhnliches, zum Beispiel, dass eine Katze auf eine Fensterbank sprang.
Er seufzte vor sich hin, stellte seinen Hocker auf, gab etwas Leinöl in eines der Schälchen an der Palette, ein wenig Terpentin in das andere, dann drückte er einen Klecks von gebrannter Umbra auf die Holzpalette, verdünnte sie mit Terpentin und begann, die Haustür des Farbenmannes mit einem dünnen Borstenpinsel zu skizzieren.
Nachdem er beschlossen hatte, dass das Thema seines Bildes eine verlassene Straße sein würde, war er fast enttäuscht, als er aus dem Hinterhof des Farbenmannes Schritte hörte. Die Concierge des Hauses, eine runzlige Witwe, erschien am Fenster im ersten Stock, dann wich sie hinter den Vorhang zurück, als sie das Tor klappern hörte. Jedes Wohnhaus in Paris hatte eine Concierge, die durch natürliche
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