Verflixtes Blau!
so nervig werden?«
» Ach, cher«, sagte sie, » stell dein Licht nicht unter den Scheffel.«
» Wie meinst du das?«
» Ach, nichts«, sagte sie und entschwebte, um sich die Turners und Constables anzusehen, oder die Schiffe und Schafe, wie sie diese gern nannte.
Eigentlich war sie nur nett gewesen. Lucien hatte nicht die geringste Chance, jemals auch nur im Entferntesten so nervig zu werden wie Michelangelo Buonarroti. Zum einen war Lucien im Grunde seines Herzens ein liebenswerter Mensch, gütig und großzügig, und abgesehen von den leisen Zweifeln hinsichtlich seiner Malerei, die ihn nur zu einem besseren Maler machten, war er angenehm unbelastet von Schuldgefühlen und Selbstverachtung. Ganz das Gegenteil von Michelangelo.
Rom, Italien, 1497
Der Florentiner war etwa im selben Alter wie Lucien, als sie ihn zum ersten Mal aufgesucht hatte. Und wie Lucien stand er nie in direktem Kontakt mit dem Farbenmann. Sie fand ihn in Rom bei der Arbeit an dem Gemälde Die Grablegung Christi, das ein Altarbild für die Kirche von Sant’Agostino werden sollte. Er war allein in seiner Werkstatt wie so oft.
Sie war ein junges Mädchen mit großen, wachen Augen im Bauernkleid, lose geschnürt und tief ausgeschnitten. Sie hatte die Farbe bei sich, frisch angerührt und abgefüllt in Schafsblasen, zur richtigen Größe gedreht und mit Darm verknotet, in einem Korb, der mit ungebleichtem Leinen ausgelegt war.
Der Maler blickte nicht einmal von seiner Arbeit auf. » Geh weg. Ich will niemanden um mich haben, wenn ich arbeite.«
» Verzeiht, Maestro«, sagte sie und knickste. » Aber ich soll Euch diese Farben bringen, vom Kardinal.« Er malte für die Kirche, da war doch bestimmt irgendwo ein Kardinal im Spiel.
» Was für ein Kardinal? Ich habe meinen eigenen Farbenmann. Verschwinde!«
Sie trat einen Schritt vor. » Ich weiß nicht, welcher Kardinal, Maestro. Ich wage nicht aufzublicken, wenn ein Kirchenfürst zu mir spricht.«
Schließlich sah er sie an. » Nenn mich nicht Maestro. Nicht, wenn ich das hier tue. Ich bin nicht mal ein Maler. Ich bin Bildhauer. Ich suche den Geist im Stein, geführt von Gottes Hand. Mit Farben arbeite ich nur für den Herrn.«
Nicht schon wieder, dachte sie. Sie hatte Florenz verlassen, weil sie Botticelli an sein religiöses Gewissen verlor, wegen dieses manischen Dominikanermönchs Savonarola und seinem Fegefeuer der Eitelkeiten. Botticelli konvertierte und warf einige seiner besten Bilder, ihre Bilder, ins Feuer. Michelangelo jedoch war schon seit einem Jahr hier in Rom. Wie hatte er von Savonarolas Lehren erfahren?
» Verzeiht, aber ich muss die Farben übergeben, sonst wird man mich züchtigen.«
» Nun gut. Dann lass sie hier.«
Sie näherte sich ihm, der auf seinem dreibeinigen Hocker sitzen blieb, und sank mit dem Korb in Händen langsam in die Knie, geflissentlich darauf bedacht, dass ein Knie unter dem Rock hervorkam, ein nackter Schenkel sichtbar wurde und ihr Kleid tiefe Einblicke gewährte. In dieser Haltung verharrte sie einen Moment, dann sah sie scheu zu ihm auf.
Er jedoch beachtete sie nicht. » Ach, fick dich«, sagte sie auf Englisch, weil sie es zum Fluchen für die beste Sprache hielt. » Du guckst mich ja nicht mal an, du Schwuchtel.«
» Was? Was machst du da?«, fragte der Maler. » So etwas sollte ein junges Mädchen nicht tun– ihren Körper herzeigen. Du solltest die Predigten des Savonarola lesen, junge Dame.«
» Ihr habt sie gelesen?« Sie riss ihren Korb an sich. » Das hätte ich mir denken können.« Damit stürmte sie aus der Werkstatt.
Der Farbenmann hatte recht. Gutenbergs Buchdruckmaschine war eine Erfindung, die nur Ärger machte. Die verfluchten Deutschen mit ihren Erfindungen.
Am nächsten Tag, als Michelangelo von seinem Bild aufblickte, war es ein junger Mann, kaum mehr als ein Knabe, der den Korb mit Farben brachte. Diesmal gab er sich nicht ganz so abweisend. Tatsächlich war Bleu als junger Mann in der Lage, ihn einige Wochen lang zu inspirieren, während er an zwei Altarstücken arbeitete und auch an zwei kleineren Bildern, die der Farbenmann gern entgegennahm, und sie folgten dem Maestro zurück in seine florentinische Werkstatt. Nach einem Monat jedoch wurde es schwierig.
» Ich kann ihn nicht zum Malen bewegen«, sagte Bleu zum Farbenmann.
» Was ist mit den beiden großen Bildern, an denen er arbeitet?«
» Er will sie nicht vollenden. Er weigert sich, die blaue Farbe auch nur anzurühren. Er sagt, sie entfernt ihn von Gott.
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