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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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erklang durch das Viertel, was sogar die beiden Junggesellen hörten, die sich drüben auf der anderen Seite des Platzes in Madame Jacobs crémerie ein pot-au-feu (Rindereintopf) teilten und sich verwundert ansahen, als wollten sie sagen: Was, zum Teufel, war das?
    In der kleinen Gasse lag Juliette bewusstlos im Eingang zum Atelier, und ihre Stirn wurde langsam grün und blau.
    » Maman«, sagte Régine, » ich glaube, du hast sie erschlagen.«
    » Unsinn, die wird schon wieder. Geh und sieh nach deinem Bruder.« Madame Lessard ragte über dem Modell auf, mit einer schweren, stählernen crêpe -Pfanne aus der Bäckerei in der Hand.
    » Aber sollten wir sie nicht lieber reinbringen oder so?«
    » Das kann Gilles machen, wenn er nach Hause kommt.«
    » Aber Maman, Gilles arbeitet zurzeit in Rouen. Er kommt frühestens morgen wieder.«
    » Ach, die frische Luft wird ihr guttun.« Sie stieg über Juliette hinweg ins Atelier. » Lucien, wach auf. Deine Schwester macht sich Sorgen um dich«, sagte Madame Lessard.

12
    Le Professeur Deux
    É mile Bastard wohnte in einem kleinen Haus im Maquis, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, gleich unterhalb des Moulin de la Galette, über dem Friedhof, am Nordwesthang des Montmartre. Inzwischen hatte er einen Holzfußboden und fließend Wasser eingebaut und die Käfige und Rennbahnen für die nagetierische Ben-Hur -Inszenierung entfernt, doch die Behausung war nicht weniger exzentrisch, als sie es unter Le Professeur I. gewesen war. Das Miniatur-Hippodrom war Tischen und Regalen mit allerlei wissenschaftlichem bricolage gewichen, von kleinen Dampfmaschinen über Messinstrumente bis hin zu gläsernen Laborbehältern, Chemikalienflaschen, Mineralienproben, Batterien und Tesla-Motoren, menschlichen Schädeln, ungeborenen Tieren in Gläsern, Dinosaurierknochen und Uhrwerkapparaten, die allerhand meist unsinnige Aufgaben erledigen konnten, darunter ein aufziehbares Insekt, das über den Boden huschte und heruntergefallene Nussschalen zählte, um dann deren Anzahl mit einer Folge von Glöckchenschlägen zu verkünden.
    Wie schon sein Vater war auch Émile Bastard Wissenschaftler und Lehrer geworden, unterrichtete an der Académie des Sciences und führte Feldforschungen verschiedenster Disziplinen durch. In den Augen der Académie war er ein Mensch der Renaissance, in den Augen der Leute auf dem Montmartre war er ein exzentrischer, aber harmloser Spinner. Wie schon seinen Vater nannten sie auch ihn Le Professeur.
    Le Professeur saß an seinem Schreibtisch und ordnete die Notizen, die er jüngst während einer Höhlenforschungsexpedition gemacht hatte, als ein Klopfen an der Tür ihn aufschrecken ließ, weil so gut wie niemals jemand bei ihm klopfte. Er machte die Tür auf und fand einen sehr kleinen, aber gut gekleideten Herrn vor, mit einer Melone auf dem Kopf und einer Ledertasche über der Schulter. Es war ein warmer Tag, und der kleine Mann hatte seinen Mantel über den Arm gelegt und die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt.
    » Bonjour, Monsieur Bastard, ich bin Henri de Toulouse-Lautrec, der Maler.« Er hielt ihm seine Karte hin. » Ich komme im Interesse unseres gemeinsamen Freundes Monsieur Lucien Lessard.«
    Le Professeur nahm Henris Karte entgegen und trat beiseite, um Toulouse-Lautrec eintreten zu lassen. » Kommen Sie herein. Bitte, setzen Sie sich.« Er deutete auf einen Diwan, der vom teilweise rekonstruierten Skelett eines Faultiers besetzt war. » Das Faultier können Sie zur Seite schieben. Ein Projekt, an dem ich arbeite.«
    Le Professeur zog den Stuhl von seinem Schreibtisch heran und setzte sich dem Diwan gegenüber. Er war so groß, wie Henri klein war, und sehr dünn. Wenn er einen Frack trug, erinnerte er an eine backenbärtige Sonnenanbeterin.
    Henri zuckte zusammen, als unter seinem Schuh eine Haselnussschale knirschte.
    » Verzeihung«, sagte Bastard. » Ich habe eine Maschine, die Schalen zählt.«
    » Aber wieso liegen überall Schalen herum?«
    » Ich sagte doch, ich habe eine Maschine, die sie zählt. Soll ich sie Ihnen vorführen?«
    » Danke, ein andermal vielleicht«, sagte Henri. Er nahm seinen Hut ab und legte ihn auf den Schädel des Faultiers, das einen beklemmend melancholischen Ausdruck besaß, vermutlich, weil es nur teilweise zusammengebaut war. » Die Sache mit Lucien Lessard…«
    » Ja, wie geht es dem Jungen?«
    » Sie kennen ihn schon lange?«
    » Seit über zwanzig Jahren. Wir haben uns kennengelernt, als er noch ganz klein war, während

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