Verflixtes Blau!
des Preußenkrieges. Mein Vater hatte ihn allein auf Rattenfang in die alte Gipsmine beim Friedhof geschickt. Als ich davon erfuhr, ging ich hin, um ihn herauszuholen. Ich fand den armen Lucien, als er zu Tode erschrocken aus der Mine gelaufen kam. Mein Vater war ein brillanter Wissenschaftler, aber im Umgang mit Kindern hatte er nicht immer eine glückliche Hand. Er behandelte sie wie kleine Erwachsene. Ohne dass ich Ihnen damit zu nahe treten möchte.«
Henri winkte ab. » Ich mache mir Sorgen um Lucien. Es ist schwer zu erklären, aber ich habe das Gefühl, er könnte unter dem Einfluss einer Art Droge stehen.« Mit diesen Worten öffnete er seine Tasche und holte eine Handvoll Farbtuben hervor. » Ich glaube, dass diese Tuben eine Art Halluzinogen enthalten könnten, die Luciens körperliche und geistige Gesundheit beeinträchtigt.«
» Ich verstehe«, sagte der Professeur, der die Farbtuben von Henri entgegennahm, eine nach der anderen aufschraubte und daran roch. » Es riecht, als wäre das Bindemittel Leinöl.«
» Professeur, könnten Sie die Farben vielleicht in der Académie testen und herausfinden, ob etwas Schädliches darin ist?«
» Das will ich tun, doch sagen Sie mir erst, welcherart Verhalten Grund für Ihre Sorge ist. Auch normale Ölfarbe enthält Substanzen, die toxisch wirken können und Symptome von Wahnsinn hervorrufen.«
» Er hat sich mit einem hübschen Mädchen im Atelier hinter der Bäckerei eingeschlossen und kommt so gut wie nie heraus. Seine Schwester ist in größter Sorge. Sie sagt, er backt kein Brot mehr und scheint nicht einmal mehr zu essen. Sie sagt, er bumst und malt nur noch.«
Der Professeur lächelte. Lucien hatte ihm von seinem Freund, dem Grafen, und seiner Neigung zu Tanzsälen und Bordellen erzählt. » Bei allem Respekt, Monsieur Toulouse-Lautrec, unterscheidet sich das so sehr von Ihrem eigenen Lebenswandel?«
» Bitte, Monsieur Professeur! Ich habe mit Absinth experimentiert und kann bestätigen, dass er gefährliche, halluzinogene Kräfte besitzt, besonders die Kraft, unansehnliche Frauen attraktiv erscheinen zu lassen.«
» Nun, es handelt sich um achtzigprozentigen Alkohol, und der Wermut darin ist giftig. Ich vermute, man wirft wohl einen Blick auf seinen eigenen Tod.«
» Ja, aber mit exquisiten Brüsten. Können Sie die auch erklären?«
» Das ist eine gute Frage«, sagte der Professeur, der nichts lieber tat, als gegen alle Vernunft nach Antworten auch auf die absurdesten Fragen zu suchen.
» Wie dem auch sei«, fuhr Henri fort. » Ich vermute, da ist etwas in dieser Farbe, das Ähnliches hervorruft, und unser Freund Lucien steht unter dessen Wirkung. Ich glaube, dass auch ich in der Vergangenheit schon unter dem Einfluss dieser Droge gestanden habe.«
» Aber nicht in jüngster Zeit?«
» Nein, mittlerweile bin ich nur noch Freigeist und Hurenbock. Früher gab es in meinem Leben Liebe und Besessenheit, in deren Hände, wie ich vermute, auch unser Lucien gefallen ist.«
» Und wen verdächtigen Sie, ihn zu vergiften?«
» Ich glaube, es handelt sich um eine Verschwörung des Mädchens mit ihrem Komplizen, einem Farbenhändler.«
» Und ihr Motiv?«
» Lucien zu verführen.«
» Und Sie sagten, sie sei hübsch?«
» Bezaubernd. Entzückend. Fast zu sehr.«
» Monsieur Toulouse-Lautrec, ich kann einsehen, wieso man sich verschwören würde, um Sie zu verführen. Sie besitzen einen Titel und werden– wie ich vermute– ein nicht unerhebliches Vermögen erben, doch Lucien ist ein armer Bäckersohn, und wenn er auch ein talentierter Maler sein mag, gibt es– wie Sie wissen– keine Garantie dafür, dass ihm je Erfolg oder finanzieller Lohn zuteilwerden wird. Also noch einmal: Was sollte das Motiv sein?«
Henri stand auf und lief vor dem Diwan hin und her, trat bei jedem zweiten Schritt auf eine Nussschale. » Ich weiß es nicht. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Als mir dasselbe passiert ist, haben mich Lucien und einige andere Freunde aus der Lage befreit, und die Manie verflog. Allerdings habe ich Zeit verloren. Viel Zeit. Erinnerungen. Es gibt ganze Monate, von denen ich nichts mehr weiß. Es gibt Bilder, von denen ich mich nicht erinnere, sie gemalt zu haben, und ich erinnere mich, andere gemalt zu haben, die gar nicht existieren. Ich habe keine andere Erklärung dafür. Falls Sie also etwas in diesen Tuben fänden, das den Zeitverlust erklärt, könnte sich daraus eine Möglichkeit ergeben, ihn daran zu hindern.«
» Ihren Freund daran zu
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