Verflixtes Blau!
ansonsten ein ausgesprochen umgänglicher Mensch, mit Hilfe einer antisemitischen Wahlplattform um den Posten des Bürgermeisters vom Montmartre beworben und war glücklicherweise kläglich gescheitert.
» Willette, du Spatzenhirn«, hatte Henri zu ihm gesagt. » Ich würde dich ja gern unterstützen, aber da ich selbst von edler Herkunft bin, müsste ich– wenn ich jemanden aufgrund seiner Geburt diskriminieren wollte– auch eurer aller Gesellschaft meiden, da ihr nur hundsgemeine Bürgerliche seid. Und mit wem sollte ich dann trinken?«
Manchmal fiel es schwer, die Talente eines Menschen mit seiner Persönlichkeit in Einklang zu bringen. Selbst der große Degas, der als Künstler für Henri ein Held war und vermutlich der beste Zeichner unter allen Impressionisten, hatte sich als Pissnelke erwiesen. Eine Weile hatte Henri sogar im selben Haus gewohnt wie Degas, doch statt ein wenig von der Weisheit des Meisters einzufangen, erntete er nichts als Verachtung. Anfangs widmete dieser ihm nur ein abschätziges Schnauben auf dem Hinterhof, wenn sie einander passierten, doch später, als Henri ihm bei einer Ausstellung begegnete, in der sie beide ihre Bilder zeigten, tat Degas, als sähe er ihn nicht, und sagte: » Die Rothaarigen von Toulouse-Lautrec sehen alle aus wie syphilitische Huren.«
» Aus Eurem Munde klingt es, als sei das etwas Schlimmes«, sagte Henri über seine Schulter hinweg, dennoch fühlte er sich beleidigt. Gekränkt von seinem Helden, hinkte er in eine Ecke der Galerie, wo die Leute nicht so sauertöpfisch waren. Degas hatte ihn inspiriert, und er war in seiner Bewunderung für ihn gänzlich unverblümt gewesen, hatte Degas’ Einfluss auf sein Werk ganz offen eingeräumt, was die Zurückweisung umso schmerzlicher machte. Gerade wollte Henri seine Freunde zurücklassen, um sich in einem billigen Tanzlokal zielstrebig zu betrinken, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und sah, dass ein hagerer Mittfünfziger mit weißem Ziegenbärtchen und grobem Schlapphut ihn musterte: Pierre-Auguste Renoir.
» Nur Mut, Monsieur. Degas hasst alles und jeden. Er mag der beste Bildhauer unserer Zeit sein, nachdem sein Augenlicht der Malerei nicht mehr genügt, aber ich will Euch ein Geheimnis anvertrauen: Seine Tänzerinnen sind für ihn Dinge. Objekte. Er empfindet keine Liebe für sie. Eure Tänzerinnen, Monsieur, leben. Sie leben auf der Leinwand, weil Ihr sie liebt, non?«
Henri wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm fehlten die Worte. Eben noch wollte er nach Degas’ Kritik in bitterer Selbstverachtung versinken, da wurde ihm angesichts Renoirs überbordender Freundlichkeit ganz leicht ums Herz, regelrecht schwindlig, und er musste sich auf seinen Gehstock stützen.
» Nein. Ich meine, ja. Ich meine merci beaucoup, Monsieur Renoir. Ich denke, Ihr wisst…«
Renoir tätschelte seinen Arm, um ihn zu beruhigen. » Wartet. Gleich gehe ich rüber und blamiere ihn mit seinem Judenhass, bis er empört den Saal verlässt wie ein beleidigtes Muttersöhnchen. Das wird lustig. Degas hat schon immer Distanz zu seinen Motiven gehalten. Er tut es absichtlich. Das war schon immer so. Er weiß nicht, wie es ist, mit einem dicken Mädchen zu lachen, im Gegensatz zu uns, nicht wahr?«
Unter der Hutkrempe war der Anflug eines lüsternen Grinsens auszumachen, ein Funkeln des Vergnügens. » Lasst Euch nicht von Degas’ Garstigkeit erschüttern. Mein Freund Camille Pissarro ist Jude. Ihr kennt ihn?«
» Wir sind uns mal begegnet«, sagte Henri. » Wir hängen beide in Theo van Goghs Galerie. Und ich teile mir ein Atelier mit Lucien Lessard, der ihm sehr nahe steht.«
» Ja, Lucien. Einer meiner Schüler. Malt ständig Bilder von rammelnden Hunden. Ich glaube, mit dem Jungen stimmt irgendwas nicht. Vielleicht liegt es daran, dass er ständig in der Bäckerei ist. Vielleicht hat er einen Hefepilz. Jedenfalls, Pissarro sieht aus wie ein Rabbi mit seinem langen Bart und der Hakennase, wenn auch wie ein Piratenrabbi, bei den hohen Stiefeln, die er immer trägt. Ha, ein Piratenrabbi!« Renoir lachte über seinen eigenen Scherz. » Wenn er heute nach Paris kommt, muss er sich im Hotelzimmer verstecken, weil er so jüdisch aussieht, dass die Leute ihn auf der Straße anspucken. Diese Borniertheit! Pissarro! Unser aller Meister! Und dabei ahnen sie nicht, dass er in seinem Zimmer am Fenster sitzt und das beste Werk seines Lebens erschafft. Tut es ihm nach, Monsieur Toulouse-Lautrec! Nehmt Degas’ bornierten Kommentar und
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